Travel Trench

Sein Siegeszug begann in den britischen Schützengräben des Ersten Weltkriegs, doch heute ist er längst weltweit ein Stück für Männer und Frauen: Der Trenchcoat gehört nicht erst seit den Zeiten Humphrey Bogarts und Audrey Hepburns zu den absoluten Klassikern unter den Mänteln. Traditionell aus Baumwoll-Gabardine gefertigt und mit einer doppelreihigen Knopfleiste versehen, hat er eine formale Note, verleiht aber seinen Trägern gerade genau so wenig Statur, dass er sie als lässige Zivilisten ausweist.

Nun wagt sich der Londoner Maßschneider Henry Poole an eine Neuinterpretation. Ihr liegt ein Stoff von Gore-Tex zugrunde, was einer mittleren Sensation gleichkommt.

Das Haus eröffnete 1846 als erstes seine Pforten in der Savile Row, jener Gasse in Mayfair, die noch immer das weltweite Zentrum exzellenter Schneiderei ist. Entsprechend gab es bei Poole bisher nur echte Maßarbeit mit eigenem Schnittmuster, Anproben und circa 70 Stunden Handarbeit pro zweiteiligem Anzug.

„Das ist bei diesem Projekt nicht möglich“, sagt Alex Cooke, der Chefschneider der Institution, ein Mann Ende 40 mit sanfter Stimme, zu dessen Kunden ein erheblicher Teil der internationalen Designerelite gehört. Handarbeit setzt rein natürliche Materialien wie Wolle, Kaschmir oder Leinen voraus – nur diese lassen sich mit dem Bügeleisen in eine dreidimensionale Form bringen, der deutsche Fachbegriff dafür lautet Stoffdressur.

 

Gore-Tex-Fasern aber, die gleichzeitig wasserabweisend und luftdurchlässig sind, reagieren zu empfindlich auf die Hitze des Eisens. Auch verlangt das Gewebe nach der Gleichmäßigkeit einer Maschinennaht; die kleinen Unregelmäßigkeiten des Handstichs, die ein Kleidungsstück aus einem Naturmaterial einzigartig machen, wirken hier unsauber.

Deshalb hat sich das Haus, das Simon Cundey in siebter Generation als Familienbetrieb führt, dazu entschieden, die Fertigung in eine Londoner Fabrik auszulagern. Das Design und das Schnittmuster entwickelte Alex Cooke aber natürlich in der Savile Row: „Wir waren lange in unserem großen Archiv und haben die Linien von Militär- und Zivilmänteln miteinander fusioniert“, sagt Cooke. „Wenn wir so ein Projekt machen, muss sich das Ergebnis ja von dem unterscheiden, was bereits auf dem Markt ist.“ Harte Arbeit sei das gewesen, sagt Cooke, denn bei den Schnittmustern, die er gewöhnt ist, lässt sich eben viel durch die Arbeit am Stoff noch unabhängig von der Vorlage gestalten. Diesmal musste das Muster für eine Serienfertigung ohne Korrekturen taugen. Der Mantel hat einen Stehkragen, nüchterne Schultern und eine klare Taillierung. Englische Schneider halten sich traditionell etwas drauf zugute, einen besonders nüchternen Ansatz zu verfolgen, der auf Showeffekte verzichtet. Geschlossen wird der „Travel Trench“ mit einem Reißverschluss.

Acht Größen in jeweils drei Längen stehen zur Auswahl. Der Vorteil für Cundeys Unternehmen besteht darin, dass eine Online-Bestellung möglich ist. Schneider haben seit März 2020 weltweit empfindliche Geschäftseinbußen hinnehmen müssen, weil ihre Kunden sie im Lockdown nicht mehr aufsuchen konnten. Bei Betrieben wie Henry Poole kam noch erschwerend hinzu, dass die Verkaufstourneen durch Europa, die USA und Asien entfielen – dabei hängt an denen oft mehr als die Hälfte des Umsatzes.

Das Haus bewahrt die Schnittmuster aller lebenden Kunden auf, sodass die Schneider in der Nummer 15 der Savile Row nachsehen können, welche Größe am besten passt. Neue Klienten können mit Hinweis auf ihre Konfektionsgröße davon ausgehen, das richtige Teil zu erhalten. Am besten sei es aber natürlich, wenn der Klient persönlich vorbeischaue, sagt Cooke. Der Mantel kostet nicht mehr als das Original von Burberry, gegen Aufpreis können die Kunden das Futter und die Innentaschen individualisieren. Das Design ist natürlich wie immer Geschmackssache – fest sollte allerdings stehen, dass sich das Gründerhaus der Savile Row auch bei diesem Projekt keinerlei Abstriche in der Qualität leisten kann.

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Philip Cassier