Haute Couture mag anachronistisch wirken, dabei ist sie in Wahrheit progressiv, sagt Giorgio Armani. Der Designer ist davon überzeugt, dass auch seine exklusivsten Kleider mehrfach getragen werden sollten.
„Fortschritt beginnt mit Schönheit“
Die Modewelt fühlt sich oft wie eine Blase an, und bei Giorgio Armani strahlt sie in diesem Sommer in lieblichen Pastelltönen. In Paris stellte der Designer am vergangenen Dienstag die neue Kollektion seiner Haute-Couture-Linie Armani Privé vor. In der italienischen Botschaft in Paris präsentierten Models auf dem Laufsteg Kleider und Hosenanzüge aus Organza, das so glänzte wie geschmolzenes Silber, transparente Chiffonroben in Puderrosa und Schößchentops in Pfefferminzgrün.
Gerade hat sich Giorgio Armani von einem Sturz erholt, der Gips ist ab, und so konnte der Designer persönlich die Tatsache feiern, dass er die teuersten Kleider aus seinem Haus wieder einem Live-Publikum vorstellen durfte. Auf seine Karriere scheint der Designer stolzer denn je – weil er sich durch die Lektionen der Pandemie in vielen seiner Werte bestätigt fühlt. Das Interview fand vor der Modenschau statt.
Giorgio Armani Haute Couture Fall Winter 22
Fotografiert von Schohaja
Herr Armani, können Sie gut alleine sein?
Einsamkeit ist eine meiner größten Ängste. Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte, würde ich tatsächlich darauf achten, dass ich mehr Zeit mit Freunden und Familie verbringe. Im Hinblick auf die vergangenen Monate muss ich jedoch sagen, dass ich noch Glück gehabt habe. Immerhin habe ich stets mit einem kleinen Team aus Kollegen zusammengearbeitet und konnte mich deswegen nicht einsam fühlen.
Wo haben Sie das vergangene Jahr verbracht?
Ich habe meine Zeit zwischen meinem Landhaus in Broni, außerhalb von Mailand, und dem Atelier in der Stadt aufgeteilt. Ich passe mich schnell an neue Umstände an, dem Arbeitsfluss hat der neue Alltag daher nicht geschadet.
In Paris stellen Sie Ihre erste physische Haute-Couture-Modenschau nach anderthalb Jahren. Überhaupt hatte man bei den vielen Live-Events und vielen internationalen Gästen, die zur Modewoche angereist waren, das Gefühl, die Modebranche lebt wieder richtig auf. Was hat uns Haute Couture in Krisenzeiten zu sagen?
Ganz einfach gesagt: Fortschritt beginnt mit Schönheit. Für mich ist Haute Couture die höchste Ausdrucksform, die es in der Mode gibt. Sie steckt voller symbolischer Bedeutungen, die für Fantasie stehen und das Handwerk, das es braucht, um diese Fantasie Wirklichkeit werden zu lassen. Sie mag anachronistisch wirken, aber in Wahrheit ist sie sehr progressiv. Weil man mit Techniken und Handwerk experimentieren kann, und das finde ich spannend.
Gleichzeitig handelt es sich um ein sehr elitäres Produkt, das auf eine Gesellschaft trifft, die es sich in Jogginghosen bequem gemacht hat. Braucht man da noch ein mit Federn verziertes Organza-Cape oder blumige Bustierkleider, wie Sie sie gerade gezeigt haben?
Schönheit gibt einem Sicherheit und tut dem Geist gut. Ich bin mir sicher, nach diesen harten Zeiten werden sich die Menschen genau danach sehnen. Ich habe das selbst erlebt, schließlich bin ich im Nachkriegsitalien aufgewachsen. Die Menschen sind aus den dunklen Jahren mit einem neuen Hunger nach schönen Dingen hervorgegangen. So wird es auch dieses Mal sein, und es wird auch dazu führen, dass die Menschen sich wieder herrichten und gut anziehen möchten. Bei der Mode geht es ja auch nicht ums Brauchen, sondern um Träume und Begehrlichkeiten. Und die Menschen wollen Kleidung, in der sie gut aussehen und in der sie sich gut fühlen. Zudem sehen wir, dass sich auch neue Designer immer wieder der Herausforderung stellen, diese so anspruchsvolle Mode anzufertigen. Das zeigt, wie sehr sie all jene inspiriert, die an Kreativität glauben.
Kauft Ihre Haute-Couture-Kundschaft denn weiterhin fleißig?
Viele meiner Kundinnen führen erfolgreiche Unternehmen, und die haben weiterhin Ihre Bestellungen abgegeben. Der Kern unseres Couture-Geschäfts ist die Anlassmode und für die besteht nach wie vor das größte Interesse. Im Hinblick auf das Celebrity-Dressing habe ich allerdings in Absprache mit den Stars und den Veranstaltern von Red-Carpet-Events etwas verändert: Kein Entwurf soll mehr nur ein einziges Mal getragen werden, das wäre eine Verschwendung von Talent und Ressourcen. Diese Looks sind zeitlos und können zu vielen verschiedenen Anlässen getragen werden.
Sie gehörten zu den ersten Designern, die während der ersten Hochphase der Pandemie zu einem Umdenken in der Mode aufgerufen haben, vor allem im Hinblick auf Ihr Nachhaltigkeitsproblem. Hat die Branche inzwischen dazugelernt?
Am Anfang haben alle ihre guten Absichten kundgetan. Doch inzwischen muss ich leider sagen, habe ich den Eindruck, dass ein Großteil der Industrie lieber zu den alten Gewohnheiten zurückkehren möchte. Man spürt den Wunsch nach ständiger Sichtbarkeit in den Medien, die durch einen intensiven Rhythmus aus Aktionen, Projekten und Kollektionen aufrecht erhalten werden muss. Von einem „Slowdown“ kann bei vielen Marken keine Rede sein.
Trotzdem haben doch viele Unternehmen die Masse an Kleidung, die sie produzieren, überdenken müssen. Vieles ist schließlich nicht verkauft worden im vergangenen Jahr.
Das stimmt. Der generelle Lebenskreislauf eines Kleidungsstücks ist verlängert worden, viele Kollektionen wurden länger in den Geschäften gelassen, um die Verluste aus der härtesten Lockdown-Zeit auszugleichen. Das wird sicherlich zu einer Veränderung dieses verrückten Rabatt-Systems führen, wonach Kleidung stets viel zu früh in den Schlussverkauf geht, um wieder Platz für Neues zu machen.
Haben die Einschränkungen der Pandemie dazu geführt, dass Sie irgendetwas an Ihrer Arbeitsweise geändert haben?
Im Gegenteil, diese furchtbaren Monate haben dazu geführt, dass ich mehr denn je an den Wert dessen glaube, was ich geschaffen habe. Ich strebe danach, schöne Dinge zu entwerfen, die bleiben und dem Träger Selbstbewusstsein vermitteln. Wenn eine Jacke oder ein Hosenanzug mit dem Menschen verschmilzt, wenn das Designerlabel verschwindet und die Person in den Vordergrund rückt – dann habe ich meine Arbeit getan.
Was würden Sie jungen Designern raten, die gerade ihre erste richtige Krise erlebt haben?
Ich habe schon einiges an Herausforderungen durchlebt. Mein Rat ist: Fokussiere dich auf das, was du kontrollieren kannst, und halte dich nicht mit den unsicheren Dingen auf.
Wo finden Sie heute Schönheit?
Dort, wo ich sie immer finde, wenn auch in leicht veränderter Form. In der Melancholie des menschenleeren Mailands. In der Art und Weise, wie das Licht auf ein Gebäude trifft. Und natürlich in meiner Arbeit. Mehr und mehr drückt meine Arbeit aus, dass ich die Dinge langsamer angehen will. Armani Privé ist dafür das beste Beispiel. Luxus und Schnelligkeit passen nicht zusammen. Und das sollen sie auch nicht.