Eine Kolumne von Florentine Joop

Realitätsverdruss

Die Erde und ihre Natur sind ein nahezu perfektes Designkonzept. Form follows Funktion, wunderbare Proportionen, Ausgewogenheit, Kreisläufe, nichts geht verloren, alles wird wiederverwendet, alles hängt mit allem zusammen, die Häschen sind kuschelig, der Hai räumt auf, die Insekten stechen oder werden gefressen. Die Früchte sind süß, die Käfer knackig, die Wälder machen die Luft, die Flüsse münden ins Meer, die Wellen bringen es zurück. Kraken haben Gärten, Elefanten Friedhöfe. Wunder über Wunder. Das gleicht doch in seiner Erhabenheit einem Luxusdampfer, einem ultrakrassen Designer-Testwagen von Mercedes, einer wunderbaren Bluse von Chanel. Ist eine durchdachte Gegenwartskunstausstellung, alles macht Sinn, ist perfekt durchkonzipiert, stimmig bis ins Detail. Und schön ist es allemal. Bis die Menschen kommen.

Wie sie alles benutzen, verschmutzen, verdrecken, kommentieren, lamentieren, vermüllen, durcheinanderbringen, auswringen, sich drauflegen, reinsetzen, dumme Witze machen, lachen, reinmachen, Gläser draufstellen, Aschenbecher, Make-up-Schmiere, Männerhaare, grabschen, betatschen, verbrauchen, ausrotten, einmotten, absaugen, verbrennen, verstrahlen, betreten, beschneiden, ausweiden. Und essen wollen sie. Alles. Alles wollen sie essen oder dabei essen oder ihr Essen mitnehmen oder es wieder loswerden. Draufatmen. Calamari fritti satt. Buffetgesellschaft. Selbstbedienungsmentalität. Schnappmacher.

Die Designer winden sich, bedauern sich, halten sich weinend in den Armen. Keiner bereitet einen darauf vor, im Irgendwas-mit Design-Studium, dass es am Ende der Entwicklungskette Menschen sind, die die Dinge benutzen. Alles wäre so perfekt gewesen, gäbe es den doofen Menschen nicht. Der macht uns alles kaputt. Die Bluse, das Auto, die Uhr, den Dampfer, die Welt. Zwängt sich die Alte in die Seidenbluse, bis die Nähte ächzen, pflanzt sich der Protz in den schönen Wagen und grabscht den Spiegel, und verdreht die Augen, motzt der Kunstbanause in die gratis Weißweinschorle, DAS hätte seine Dreijährige BESSER gemacht. Macht der Mensch die Welt kaputt, als hätte er sie gemacht. Ich bin sicher, die Dreijährige hätte es anders gemacht. Aber sie liebt auch das, was sie macht, mehr. Möchte es bewahren und aufheben. Bis der Mensch kommt und es belächelt und wegwirft.

 Macht der Mensch die Welt kaputt, als hätte er sie gemacht. Ich bin sicher, die Dreijährige hätte es anders gemacht. Aber sie liebt auch das, was sie macht, mehr. Möchte es bewahren und aufheben. Bis der Mensch kommt und es belächelt und wegwirft.

Text
Florentine Joop
Illustration
Florentine Joop