„Passt es dir grade?“
MUST BE TALKING TO AN ANGEL
Ich kann auch später wiederkommen, aber es wäre gut, wenn du dich hinsetzt. Sitzt du? Gut! Sagt dir „Heiland“ was? Nein? Klingelt da nichts? Vor allem, reg dich jetzt bitte nicht auf, aber… Maria, du bist schwanger! Mit ihm, dem Heiland. Ja… ja… hm, hm, hm, ich WEISS! Nein, nein- …nein. EBEN! Ja wir, ICH sage Joseph, dass es ein Wunder ist. Ja … hast du noch Fragen? Gut, hier, von Gott ein paar Blumen. „Herzlichen Glückwunsch soll ich sagen. Ist noch Arak da? Du darfst ja jetzt erst mal nicht mehr …ha, ha … nicht witzig, ich weiß … Masel tov der werdenden Mutter Gottes!“ Der Rest ist Geschichte.
Da ist sie nun, wenige 2000 Jahre später, die holde Zeit mit Glockenklang und Sternenschweif, Maria, Joseph und Baby Jesus, mit „The Power of Love“ und Lichterglanz in der dunkelsten Zeit. Immer mittendrin, die himmlischen Heerscharen, treue Begleiter des Vaters, Sohnes und des Heiligen Geistes. Botenwesen zwischen Himmel und Gaia, unterwegs seit Äonen, Mischwesen aus Dämonen, Göttern und Amazon-Lieferanten. Engel sind nicht gleich Engel. Neben Michael und Gabriel, welche krasse Schwertträger, Kämpfer, Richter und Vollstrecker in Personalunion, flattern andere unzählige sphärische Geschöpfe an unserer so menschlichen Seite. Meist wirken sie im Stillen, unbemerkbar, doch manchmal materialisieren sie sich und treffen uns in dieser Dimension. Allen voran natürlich: der Engel der Verkündung.
Immer hat er dieses wissend-betroffene Gesicht. Maria kann ein Lied davon singen. Nicht über sein Outfit wundern oder seine Frisur, denn der Engel der Verkündung hat es als Erster immer schon und immer schon besser gewusst, verkündet er doch stets aus erster Hand. Er hat den direkten Draht in den Himmel, zu Gott, zu Gaia, zum heiligen Zeitgeist und zu den Designern. Auch modisch kann niemand ihm auch nur im Ansatz das Wasser reichen, denn er ist IN-FOR-MIERT. Merkur war gestern!
Neben Haute Couture trägt er auch die ganze Wucht der Verantwortung, halte also immer ein Gläschen bereit, denn Wissen macht durstig und einsam und melancholisch.
So ist er eher Existenzialist, trägt privat nur Schwarz zum Weltschmerz, hört Joy Division und Bauhaus, spielt ein bisschen E-Gitarre und schaut mit großen Augen in eine sich von Fakten abwendende Welt. Leidend, denn er ist der Engel der Fakten. Nicht immer ist er mit seinen News willkommen, trägt auch ein „Ich bin nur der Bote!“- Schild für alle Fälle mit sich, so sind die Verkündungen ja selten geworden, die einen Heiland beinhalten. Ändern kann er nichts, er hat nur die Wahrheit im Gepäck und den Duft von Patschuli. „Ich wollte, dass du es von mir erfährst …“, sagt er und rückt näher. Seine wunderschönen Flügel flattern ihm Luft zu, während er seine oft unbequemen Wahrheiten verbreitet, so spricht er mit leiser, einfühlender Stimme, überbringt Unabänderliches und Lebensveränderndes mit aufrichtiger Betroffenheit. Sein Lohn ist unser Dank, der selten geworden ist.
Neulich kam er in Form einer Grundschullehrerin und verkündete mir die weitere schulische Zukunft meiner Kinder. Ich habe ihn am Vintage-Azzedine-Alaïa-Kostüm erkannt, Gott, ich möchte nicht tauschen! Ich musste neulich nur mal verkünden, dass „Stranger Things“ nichts für Elfjährige ist, na halleluja!
Weil immer noch niemand mit mir bastelt, und die Welt ein dunkler Ort ist, halte ich den Glühwein bereit, falls der Engel der Verkündung sich doch noch mal in meine Stube verirrt, vom vielen Verkünden leicht angesäuert über die Reaktionen der Menschen. „Was gibt’s denn Neues? Was für mich dabei?“, werde ich fragen, weil es höflich ist. Er trägt vielleicht ein goldenes Dior-Kleid, figurbetont, die Wasserwelle sitzt, die Flügel sind trotz Berliner Feinstaub schwanenfeder- weiß. „Frag nicht!“ Er rollt seine erschöpften Engelsaugen, doch dann siegt die göttliche Bestimmung, und er räuspert sich, richtet sich auf, prostet mir zu und sagt: „Frohe Weihnachten, erst mal …“
Florentine Joop, Illustratorin in Potsdam