Wie komponiert man ein erfolgreiches Parfüm? Thierry Mugler fand das einfach: Man müsse eben sicherstellen, dass Männer den Duft mögen. Ein Abschied.
„Genießen Sie das Leben.
Dann sehen wir weiter.“

Thierry Mugler war der Mann, der den Frauen Taille, Powerschultern und Power gab, Mitte der Neunzigerjahre kam das französische Kosmetikunternehmen Clarins mit dem „Enfant terrible“ ins Parfümgeschäft, die Angel-Serie beschert bis heute Traumumsätze. Dann kauften die Franzosen auch den Couture-Bereich, sahen die wahren Zahlen und erkannten 2003: Wir müssen uns davon trennen, sonst überlebt die Marke nicht. Mugler was not amused, hatte aber ohnehin keine Lust mehr auf den Stress und die Disziplin, die regelmäßige Kollektionen fordern und zog sich in die USA zurück, oder wohl eher in die Welt.




Doch irgendwie fehlte die Mode doch, eine kleine Kollektion wurde aufgelegt, allerdings nicht mit Mugler. Der Maestro arbeitete vor allem künstlerisch, entwarf unter anderem Kostüme für Beyoncé, stattete den Cirque du Soleil aus, war Autor und Regisseur der im Wortsinn fantastischen Revue „The Wyld – Nicht von dieser Welt“ im Berliner Friedrichstadtpalast. Über 100 Künstler, mehr als zehn Millionen Euro Budget, schon das war höchstens die LasVegas-Welt.
Er kleidete Tippi Hedren, Diana Ross und Demi Moore ein, und mit seinem nass glänzenden Latex Korsett war Kim Kardashian bei der Met Gala in New York 2019 noch einmal extra Aufmerksamkeit sicher. Mugler beherrschte die Kunst, Grenzen von Kleidung verschieben, zu provozieren, mit Materialien zu spielen. Weil er es konnte.
Im Nachkriegs-Straßburg, in eine aus Österreich ausgewanderten Arztfamilie geboren, tanzte er sich als Teenager mit einer professionellen Ballettausbildung aus dem wenig liberalen, muffigen gesellschaftlichen Klima seiner Kindheit heraus, studierte Kostümdesign, wurde er ein Kind des Londoner Swings, damals in den 60ern, als alle kreative Kraft von der Themse ausging. Als verrückt sein, kreativ, extravagant noch eine geradezu gesellschaftspolitische Botschaft hatte, die Freiheit, die sie meinten und wollten und nahmen, war tatsächlich grenzenlos.

Dann kam Paris, der spezielle Sex-Appeal der Französinnen, der Einfluss von Christian Dior und Balenciaga, also Cristóbal, dem genialen Gründer – Roben waren wichtiger als Sneaker. Folklore, Bohemien waren überall angesagt, Mugler fühlte sich eher angezogen von der eleganten Silhouette. Das kleine Schwarze, aber auch das kleine Nackte. Ein Skandal. Scheinbar nackt war schließlich höchstens Cher. Das war die große Zeit von Thierry, dem Avantgardisten, später wollte er lieber Manfred genannt werden. Wobei er immer der Couturier mit eigenem Zeitgeist blieb.
Im Pariser Musée des Arts Décoratifs läuft seit September die Dauer-Retrospektive „Thierry Mugler: Couturissime“. Der Branchendienst WWD hatte den Direktor Olivier Gabet zu Ausstellungsbeginn zitiert:
„Mugler war in vielerlei Hinsicht seiner Zeit voraus. Seien es das Phänomen vom Celebrity als Model, die Beziehung zur Musikwelt oder der kulturelle Einfluss von Mode auf die Gesellschaft. Er war einer dieser Menschen, die sich nicht vom Marketing formatieren ließen, er war intuitiv, intelligent, künstlerisch und manchmal, sehr erfrischend, wie ein Tier.“
Die Lust am Parfüm erfinden blieb. Gerade arbeitete er wieder an neuen Düften, wie es heißt. Und wegen eines Parfüms saß er vor vielen Jahren in einem kleinen Wohnwagen an der Seine, nebenan war ein Eventfläche aufgebaut für die Präsentation von Duftes „Womanity“.
Ihm eilte der Ruf voraus, ungnädig zu sein und gern Interviews abzubrechen. Na dann. Hinein. Ein Brocken von Mann, Hände wie weiche Schaufeln, ein Nacken so breit wie der Kopf, die Nase reicht für zwei. Lustige Augen, ein reizender Kerl. Er hätte gern meine Schuhe, Slingpumps mit kleiner Schleife. Nicht um sie zu tragen natürlich! Ein Foto mit ihm ist okay, wenn es für mich privat ist, nicht zur Veröffentlichung. „Kann ich Ihnen trauen?“ Wie verwundet muss dieser Mann sein? Frage ich mich nicht nur einmal während unseres Gesprächs. Bild eins ist nicht gut. Mein Kopf ist kleiner als seiner. „Noch mal“. Er zog sich weit hinter meine Schulter zurück, nun waren unsere Köpfe ungefähr gleich. Die Perspektive stimmte. Er grinste. Ich habe die Szene nie vergessen. Nicht nur, weil ich etwas für Gruppen-Selfies gelernt habe.
Ab und zu hatte sein Assistent den Kopf hineingesteckt, um das Ende der Redezeit anzudeuten. Doch Mugler verlängerte jedes Mal. Wir lachten auch oft. Und seufzten. Es ging viel um die Kindheit, um Persönliches. „Ich kann Ihnen vertrauen?“ Da war es wieder.
Schließlich mahnt der Assistent, es wäre unhöflich den anderen Gästen gegenüber. Mugler zögerte, grinste, wir hörten auf. Später, als wir uns auf der Party wieder begegneten, war ich nicht sicher, ob er mich noch erkennt. Aber vielleicht hatte er auch nur wieder den Panzer angelegt. Es waren viele Leute da.


Am Sonntag ist Manfred Mugler überraschend gestorben. Sein Instagram-Account wurde schwarz: „We are devastated to announce the passing of Mr. Manfred Thierry Mugler on Sunday January 23rd 2022. May his soul Rest in Peace.” Mit 73 Jahren. Er hatte noch eine Ausstellung in Berlin mit Fotos und Collagen geplant. Und was fürs Ballett. Und neues Parfüm eben. Wer weiß, was noch.
Bei unserem Gespräch damals im Wohnwagen sagte er: „Die Achtziger waren die einfachste Zeit für alle. Denn jetzt haben wir Probleme, weil der kosmische Neptun der Erde viel zu nahe ist. Es ist zum Ausflippen besorgniserregend.“ Es klang apokalyptisch. Und halt richtig. „Wir müssen uns ändern. Ich halte nicht viel von Dogmen wie „du musst jetzt genau dieses Auto haben und verbrauche ja nicht zu viel Wasser“. Wir sollten das Leben genießen und das in Anspruch nehmen, was wir brauchen, aber es gibt so viele Dinge, die wir schlichtweg nicht brauchen. Natürlich brauchen wir den Eiffelturm – auch gern hell erleuchtet die ganze Nacht – das ist klar. Aber brauchen wir jede blöde Brücke nachts beleuchtet? Nein. Bevor wir uns hysterisch maßregeln im Alltag oder uns schuldig fühlen, weil wir womöglich zu viel Wasser beim Zähneputzen verbrauchen, sollten wir anfangen zu realisieren, was notwendig ist und was nicht.“
Zum Abschied des Interviews hatte er mir auf den Weg gegeben:
„Genießen Sie das Leben. Dann sehen wir weiter.“
Mensch, Manfred. Wir hätten so gern mehr gesehen.