Unser Lifestyleweise Heinrich Paravicini, Gründer und CCO MUTABOR, über die Kraft der Veränderung.
No more „German Angst“
Ich erinnere mich noch gut, als ich in den 2000er-Jahren das erste Mal bei einer französischen Luxusmarke ein Designkonzept präsentierte und dafür beschimpft wurde. Meine klaren und puristischen Entwürfe waren in Paris durchgefallen. „You don’t understand les Français! We want expressivité! Not your ‚German Angst Design‘“. Ich war baff. Nicht nur, weil ich in Paris aufgewachsen bin und mir einbildete, sehr wohl die Franzosen zu verstehen – sondern weil sie mir so schonungslos den Spiegel vorhielten. War ich schon so deutsch geworden, dass ich das Gefühl für meine Heimat verloren hatte? Wenn ich heute in den Straßen von Hamburg oder Berlin die Menschen anschaue, muss ich oft an dieses Ereignis denken. Die deutsche Gesellschaft ist getrieben von maskenhafter Angst.
Nicht nur die pandemische Lage ist von nationaler Tragweite – die schlechte Laune ist es auch.
Es ist schon kurios, dass unsere Nachbarn in Mailand, Paris, London oder Madrid es schaffen, in dieser Zeit im Hier und Jetzt zu leben, während wir Deutschen lieber lamentieren. Wir erinnern uns: Selbst in der härtesten Phase, als die Italiener das Haus nicht verlassen durften, erreichten uns Bilder von Balkonen voller singender Menschen – während wir in Deutschland die R-Werte gebannt wie am Börsenticker verfolgten. Sehnsuchtsvoll geht unser Blick auch noch heute an die Seine oder an die Piazza del Duomo, wo das Leben auch durch Inzidenzen nicht seine Freude einzubüßen scheint. Wenn ich hier in Hamburg zu meinem Lieblingscafé, dem „U-Zwei-Deli“ schlendere, suche ich dieses Leben im Augenblick vergebens.
Haben wir Deutschen einen genetischen Defekt? Ist „German Angst“ angeboren? Die Antwort muss sein: Selbst wenn es so wäre, ist es kein Grund, sich in sein Schicksal zu ergeben. Vielleicht müssen wir eben etwas mehr dafür tun, das Leben zu umarmen, wenn das schon nicht in unserer Natur liegt.
Seien Sie also nicht so kritisch mit sich selbst, sondern kritischer mit denen, die Ihnen suggerieren wollen, Sie hätten keine Freiheiten mehr, denn das ist nicht so. Packen Sie Ihre Maske und Ihren gelben Pass ein und geben Sie sich einen Ruck! Reisen Sie zu echten Orten – und träumen Sie nicht vom Metaverse! Lassen Sie den Laptop mit Ihrer Online-Shop-Merkliste zugeklappt und schauen Sie wieder in Ihrer Lieblings-Boutique vorbei. Treffen Sie Ihre Freunde – Zoom-Konferenzen haben Sie genug gehabt. Lassen Sie sich von echten Gesprächen inspirieren, statt sich von Chatbots irritieren zu lassen. Verbringen Sie einen Abend mit Ihren Besties im besten Restaurant der Stadt. Sie haben sich lange nicht mehr gesehen. Wir reden heute davon, dass es in der modernen Gesellschaft auf das „we mindset“ ankommen wird, statt immer nur „ichbezogen“ zu sein. Lassen Sie uns also wieder mehr „wir“ wagen.
Ich weiß, das ist gerade nicht so einfach wie früher – aber das war und ist es für Jacqueline, Sergio, Trevor und Francesca auch nicht. Aber sie tun es – und lachen dabei viel mehr.
Und mehr Lachen sollten Sie vor allem. Glauben Sie mir, das wirkt Wunder – und schon ist sie fast weg, diese „German Angst“! Das wäre doch mal ein Anfang.