BILDSPRACHE

ENTHÜLLUNGEN

Als sie sich vor 15 Jahren trafen, waren beide erfolgreich. Als Duo Luigi & Iango wurden sie zu Stars der Modefotografie. Ihr Rezept: Fleiß, Authentizität und Überraschung. Inga Griese rief durch.

Der eine, der Schweizer Iango Henzi, fotografierte preisgekrönt Kunst und Stillleben und Strecken für Hochglanzmagazine, während der andere, der Sarde Luigi Murenu, schon lange als Hairstylist mit den großen Fotografen und Superstars wie Madonna, Nicole Kidman, Jennifer Lopez arbeitete, als sie sich vor 15 Jahren trafen. Als Duo Luigi & Iango sind sie seither eine Klasse für sich. Mit einer aufregenden Ausstellung im Mailänder Palazzo Reale (22. September bis 26. November) und einem opulenten Bildband (Phaidon) ziehen sie zum ersten Mal Bilanz. „Unveiled“ heißen beide Projekte. Die Zoom-Verbindung New York, Norddeutschland steht. Sie sitzen eng beieinander und sprechen quasi synchron. Man ahnt die Empathie und Energie, mit der sie arbeiten, und nimmt automatisch eine Pose vor der Bildschirmkamera an.

 

Born in Sardinia, Luigi (left) moved to Paris in the early 1980s and made a career as a hairstylist, working for major fashion brands and stars, and was creative director at John Frieda. Iango studied photography in Zurich, moved to Paris and was an assistant to Peter Lindbergh and Mario Testino, worked since 2003 for the Italian „Vogue“ and luxury brands such as Chanel, Dior, Prada, among others. For 15 years they have been successful as the duo Luigi & Iango, their donated images of Madonna and Gisele Bündchen brought the Aidsgala AMFAR more than a million dollars.

Sie haben Supermodels, Celebritys, mehr als 300 Cover für internationale Magazine fotografiert – Ihr Fundus dürfte gewaltig sein. Aber erst jetzt haben Sie ein Buch gemacht und eine Ausstellung konzipiert. Sie nennen es auch eher Introspektive als Retrospektive. Was meint das?

Iango: Im Leben eines Fotografen geht man durch Phasen, in denen man sehr den Prozess hinterfragt, also nicht die Bilder, die man macht, sondern die Arbeit, die dahintersteckt. Wir sind immer auf der Suche nach einer unbewussten Schönheit.

 

Der Titel „Unveiled“ bedeutet „enthüllt“, auch im Kontext von „den Schleier heben“, was bei Hochzeiten eine romantische Tradition hat, aber auch eine politische Bedeutung, wenn es darum geht, zum Beispiel die Burka abzustreifen. Was enthüllen Sie?

Iango: Wir lieben die Interaktion mit Künstlern, man verdeckt, gleichzeitig zeigt man etwas anderes und bekommt auch etwas zurück. Wenn man anfängt, die Schleier abzunehmen, lässt man zu, dass man die eigene Verwundbarkeit sieht – etwas verschwindet und etwas anderes wird sichtbar. Es ist ein symbolischer Akt des Gebens und Nehmens. Und obwohl wir eine recht klare Vorstellung haben von dem, was wir erreichen möchten, ist der Moment, in dem man improvisiert, am aufregendsten.

Luigi: Und zeigen wir dabei auch unser Gesicht? Ja, denn jedes Foto hat sein Markenzeichen. Für uns bedeutet Fotografie Schönheit.

Und offenbar auch Respekt vor der Persönlichkeit der Menschen vor Ihrer Kamera.

Iango: Oft sind die Künstler nach einem Shooting sehr glücklich und aufgeregt, weil es sich für sie wie eine Performance angefühlt hat und sie sich auf eine neue Art und Weise sehen. Es ist ein tolles Gefühl, wenn die Person alles gibt. Das ist ein Moment echter Authentizität und für uns auch eine Überraschung.

Man sagt ja, dass gute Fotografen in der Lage sind, das Innere der Menschen zu zeigen. Das dürfte bei Superprofis wie Madonna nicht ganz einfach sein.

Luigi: In einer Welt, in der alles kontrolliert wird, wollen wir die Freiheit zeigen und die Schleier von den Filtern nehmen. Deswegen wurden viele Bilder in unserem Wohnzimmer in New York gemacht, wo sich eine Marina Abramović oder ein Mikhail Baryshnikov viel wohler fühlen, weil es sehr familiär ist.

 

 

Wie gehen Sie an ein Projekt wie mit Madonna heran? Die Idee, sie für die Ikonen-Ausgabe von Vanity Fair Anfang des Jahres als Madonna darzustellen, hat ja schon fast etwas Ironisches.

Iango: Da gibt es ganz verschiedene Einflüsse.

 

 

Im Fall von Madonna hatten wir eine Statue der Madonna Addolorata gesehen.

Luigi: Wir wollten sie irgendwie glorifizieren. Madonna hat viel für die LGBT-Community getan, sie hat sich viel für Mali engagiert, sie ist Mutter, man kann sie auf viele verschiedene Arten interpretieren.

Iango: Wir haben uns sehr viel mit ihr ausgetauscht und wenn man dann schließlich die richtige Garderobe und das passende Hair und Make-up gefunden hat, kommt der Moment der Improvisation und der Performance.

 

Bella Hadid in einer Mickey-Mouse-Inszenierung für das Magazin „Chaos“. Den subtilen Stil des Duos verkörpert die Aufnahme für die italienische „Vogue“ 2017 mit Vittoria Ceretti zum Thema „Klösterliche Mode“.

Heute wird ja ständig fotografiert. Selfies spulen Celebritys routiniert ab, aber bei professionellen Shootings sind sie neugierig auf ihr Bild, oder?

Luigi: Unsere Gesellschaft und die Popkultur befinden sich im ständigen Wandel, alle wurden Influencer. Aber für die Art von Arbeit, die wir machen, braucht man Vorbereitung, Information und Talent.

Iango: Den Smartphone-Bildern fehlt die Authentizität und Emotion. Als Fotograf sollte man etwas schaffen, das außergewöhnlich ist und das die Persönlichkeit hervorbringt. Das Niveau der Technologie in der Fotografie ist so hoch und schön, dass es frustrierend ist, wenn man niedrige Qualität sieht.

 

Wird in Zeiten von künstlicher Intelligenz die echte Fotografie wertvoller, auch kulturell? So wie Kunsthandwerk die Seele des Luxus ist?

 

Iango: Absolut! Wir sind davon überzeugt, dass man hart arbeiten und etwas Erstaunliches schaffen muss und damit berühren und zum Nachdenken anregen. Es wird immer Leute geben, die Exklusivität suchen, etwas Magisches, das mit Kopf und Herz gemacht wurde.

Luigi: In der Fotografie braucht man Leidenschaft, Neugier, man muss sich gehen lassen können. Manchmal druckt man ein Bild aus und sieht kleine Fehler, die man aber wiederum schön findet.

 

 

 

Können wir toleranter gegenüber menschlichen Fehlern werden, je mehr wir von technischer Perfektion umgeben sind?

 

Iango: Ich glaube, die neue Generation ist weniger tolerant in der Art, wie sie die Welt sieht, und konformistischer. Das Schlimmste ist, immer einen Fehler finden zu wollen. Wir sollten versuchen, Schönheit zu finden! Heute ist Freundlichkeit doch geradezu revolutionär.

Luigi: Wir brauchen Menschlichkeit, eine romantische Rebellion!

 

Die Künstlerin Marina Abramović hat das Vorwort zu Ihrem Buch geschrieben. Wie kam es? Ich assoziiere mit ihr eher Live-Performance, die vergängliche Zeit, in der man ihr zusieht. Sie aber machen Bilder für die Ewigkeit.

 

Luigi: Mit Marina zu arbeiten bedeutet, die Energien zu fusionieren. Ein Thema verbindet sich mit einem anderen. Sie arbeitet sehr hart, hinterfragt auch die Arbeit sehr und ist die beste Künstlerin, mit der man arbeiten kann, weil sie so viel zu bieten hat. Und wie Madonna sagte, einen Job mit uns zu machen fühle sich wie ein Fellini-Film an, manchmal ergibt es keinen Sinn. Wenn man sich aber selbst findet, macht es Sinn.

 

Ist es nicht auch eine Form von Luxus in dieser einerseits so empfindlichen und zugleich nicht empfindsamen Zeit, wenn Dinge mal keinen Sinn machen?

Luigi: O ja, da sprechen wir dieselbe Sprache! Vor ein paar Tagen haben wir uns die Ausstellung eines Freundes angesehen, und zwar von Todd Eckert, Marina Abramovićs Partner. Es ging um Ryūichi Sakamoto, dessen letztes Porträt seines Lebens wir gemacht haben.

Iango: Ein sehr berührender Moment!

Luigi: Ja! Während wir arbeiteten, wirkte er wie ein Clown, der seinen Moment der Tragödie zum Ausdruck brachte. Und ich fragte mich: Wie wird unser Leben morgen sein?

Iango: Es ist wichtig, in dem Moment zu leben, und zwar auf eine reiche Art und Weise. Wir wollten in die Tiefe gehen und auch mit dem Herzen arbeiten. Man fängt nichts mit Essig, aber alles mit Honig.

 

 

Stichwort Honig. Bekanntheit, Kunst, Verdienst: Wie gewichten Sie?

Iango: Wir stecken dieselbe Leidenschaft in alles, was wir machen, egal ob es Werbung oder ein Editorial ist. Wir lieben Herausforderung und Experimente. Nur manchmal wundern wir uns, dass uns ein bestimmter Kunde bucht.

Luigi: Wir möchten keine Bilder machen, bei denen wir faul wirken. Und die Unvollkommenheit muss der Kern unseres Schaffens sein.

 

 

Sie sind sicher einerseits sehr stolz, aber spüren Sie auch Druck, weil Sie so viel erreicht haben?

Luigi: Druck ist da, aber er ist Teil unseres Lebens. Wir sind Künstler, und als solche müssen wir unser Publikum immer wieder gewissermaßen „stören“ und etwas wagen. Aber wir lieben es. Wenn Sie bedenken, dass Iango ein Tänzer war und ich als Friseur ständig meine Finger in den Haaren vieler Menschen hatte, dann stehen die Verwandlung und Weiterentwicklung für „Hochs und Tiefs“, unterschiedliche Gefühle, Nuancen und die Magie im Leben – sie sind unabdingbar.