Haut & Haar

Gesundheit, Männer!

Peter Philips ist einer der bekanntesten Make-up-Artisten der Welt und ein Pionier: Schon vor 25 Jahren schminkte er Männer. Ein Gespräch backstage bei der Dior Homme Show über Geschlechterrollen, Botox und die Frage, wann jemand natürlich aussieht.

Die Nervosität steigt, in wenigen Stunden wir Kim Jones, der für die Männer-Kollektionen bei Dior verantwortlich ist, im Institut du monde arabe seine Entwürfe für den kommenden Sommer präsentieren. Ein modisches Großereignis auf pinkfarbenem Sandboden. Die Spannung backstage ist greifbar, Peter Philips mittendrin und wie immer ruhig, witzig, eloquent. Der Belgier ist seit Jahren der leitende Make-up-Artist bei Dior und einer der einflussreichsten Gestalter der Branche. Womöglich, weil er ein so guter Beobachter ist und nie seinen Humor verloren hat.

Er schminkt sie alle: Peter Philips vor der Dior-Show Spring/Summer 2019

ICON: Herr Philips, Sie haben als einer der Ersten überhaupt Make-up für Männer gemacht. Warum?

Peter Philips: Es war eine Herausforderung, kein kommerzielles Shooting. Aus Modesicht war es eine gute Gelegenheit, mich zu beweisen.

Wie war Ihr Männerbild damals?

Vor 25 Jahren ging es nicht darum, Männer zu verschönern. Im Gegenteil. Bei Frauen ging es um Verführung. Ein Mann schien mir eher ein Krieger zu sein, ein Rockgitarrist. Schwarzer Lidstrich, aber Punk, eher verstörend. Und aggressiver Lippenstift.

War das „men’s lib“?

Ich würde es nicht so schwarz-weiß sehen, aber generell gilt: Ja. Heute ist Männerpflege nichts Besonderes mehr, gefärbte Haare schockieren niemanden. Heute sieht man Männer in Führungspositionen mit pinkfarbener Frisur. Vor 25 Jahren war das unmöglich.

Die Leute hatten Angst, nicht ernst genommen zu werden.

Ja. Dabei sind Männerprodukte auch eine Marketingsache. Ein Shampoo für Männer und für Frauen ist eigentlich gleich, ein bisschen anders verpackt, ein bisschen andere Duftstoffe. Ein Unterschied, auch um Schranken zu überwinden. Coca-Cola Light klingt auch männlicher als Coke Zero. Bei Make-up verhält es sich etwas anders, weil den Männern, die es benutzen, das Thema gleich ist.

Wie finden Sie Unisex-Produkte?

Unisex funktioniert. In der K-Pop-Generation besser als bei uns. Der „Tinted Pink Lipglow“ unserer „Backstage“-Linie ist sicher nichts für jeden Mann. Nicht mal für jedes Model.

Das hat auch, Stichwort K-Pop, mit dem kulturellen Umfeld zu tun.

Ja. Die Europäer …

… sind langweilig?

„Ich würde es basic nennen, während die Asiaten mehr Spaß haben. Ich zum Beispiel kleide mich basic.“

Backstage bei der Dior Spring/Summer 2020 Show. (Foto: Vanni Basetti für Christian Dior Parfums)

Wie alle, die in der Mode arbeiten.

Aber ich könnte mich gar nicht wie ein Asiate kleiden. Sie sehen manchmal geradezu aus wie ein Mode-Cartoon. Aber es funktioniert! Ich würde mit bunten Haaren und schwerem Schmuck aussehen wie eine Parodie. Die meisten europäischen Männer sind so, in den USA ist es ein Mix, und in Asien geht alles. Und sicher ist jemand in der Musikszene kreativer in seinem Styling als jemand aus der Finanzbranche.

Aber mit schwul wird Make-up nicht mehr assoziiert, oder?

Nein. Das glaube ich nicht. Die ganze Körperkultur hat sich verändert. Es geht nicht nur um Pflege, sondern um Körperbewusstsein. Früher waren es eher schwule Männer, die ins Gym gingen, heute ist es selbstverständlich. Wie die Art, den Bart zu pflegen. Oder auch die Haare.

Apropos, was halten Sie von den Augenbrauen, die aussehen wie aufgemalt? So Glööckler-Gesichter?

Sie sind Ausdruck dessen, wie Männer ihr Gesicht gestalten können. Ich denke dann an Männer, die dicker werden, aber immer noch
den gleichen Bart wie vor zwanzig Jahren tragen. Es passt nicht ganz.

Was würden Sie einem Durchschnittseuropäer an Make-up empfehlen?

Gutes Hautprodukt und Basisratschläge, die auch für Frauen gelten: genug trinken, nicht zu viel Alkohol, mit dem Rauchen aufhören und Sport.

Was machen Sie selbst?

Ich nehme Botox, in der Stirn. Kurz vor meinem 50. Geburtstag ging ich in New York zum Hautarzt wegen einer kleinen Stelle. Im Wartezimmer hing ein ganzes Menü an Angeboten. Und ich dachte: „Vielleicht schenke ich mir das?“ Nun, sie machten es auf die New Yorker Art – ich bekam die volle Dröhnung und konnte mein Gesicht sechs Monate lang nicht bewegen. Nicht mal als Baby hatte ich so glatt ausgesehen. Ich tröstete mich mit Snapchat und Filtern.

Die Wirkung lässt nach einiger Zeit nach.

Ja, und mir gefiel, dass mein Gesicht relaxter aussah. Ich bleibe dabei: Ich bin 52 und arbeite in einem sehr jungen Business. Ich möchte nicht aussehen wie 20, aber auch nicht so angespannt, wie mein Terminkalender es mit sich bringt. Ich reise ständig, Flugzeug, Jetlag, Social Media bestimmen meinen Alltag. Ich will mich aber nicht digitalen Filtern ergeben, das ist zu viel Fake.

Wenn man nicht älter werden will, müsste man jung sterben.

Es gibt eine Fehlinterpretation dessen, was gutes Aussehen heißt. Es geht darum, gesund auszusehen, nicht faltenlos.

Werden Männer süchtiger nach Schönheitsoperationen?

Auch da ist es wie bei den Frauen: Es kommt auf die Persönlichkeit an. Manche können einfach nicht mehr aufhören. Und wenn da dann keine Freunde sind, die sagen „stopp!“, dann kann es auch mal absurd werden.

Aber der Begriff „natürlich“ ist relativ.

Ich habe vor 15 Jahren mal eine berühmte amerikanische Sängerin geschminkt. Sie wollte es „natural“. Ich machte also „belgisches natürlich“. Sie war entsetzt: „No, no, no, das ist nicht natural! Ich meine, Augenbrauen, Lidschatten, Wimpern, Lippen, die Konturen, aber alles in Naturtönen.“ Sie hatte recht. Erst dann sah sie aus, wie man sie kannte.

Wie schminken Sie beispielsweise für diese Frühjahrskollektion von Kim Jones? Europäisch neutral?

Ein wenig künstlicher schon, aber nicht Pfannkuchen. Ein Hauch Farbe auf die Wangen, ein bisschen Glow, ein bisschen Augenbrauen. Als Raf Simons Designer war, gab es nichts, höchstens mal einen Pickel, der abgedeckt wurde. Jetzt benutze ich viel Primer, ein wunderbares Produkt, das die Unregelmäßigkeiten schluckt und für jede Haut gut ist.

Eher clean: die Dior Homme Frühjahr/Sommer-Kollektion 2020 von Kim Jones

Dior Make-up created and styled by Peter Philips

Photography: Vanni Bassetti for Christian Dior Parfums

Folgen Sie bei dieser Arbeit den Anweisungen der Designer?

Ob Maria Grazia Chiuri, Kim Jones oder früher Karl Lagerfeld – ich diene ihnen mit meiner Expertise.

Aber Sie sind selbst auch ein Star, eine Marke.

Das ist nicht meine Plattform, die gehört dem Designer, ich bin dabei und schlage vor. Ich arbeite gern im Team.

Das Geschäft hat sich durch das Internet sehr verändert. Allein die vielen Tutorials, nerven die?

Im Gegenteil. Ich muss jetzt ganz andere Antworten geben, denn die Basics sind bekannt. Die Frauen fragen mich jetzt eher: „Was wird das nächste Ding?“

Und Männer?

Männer fragen nicht, sie sprechen untereinander über andere Sachen. Ich habe jedenfalls noch nie gehört, dass einer sagt: „Oh, ich liebe deinen Lipgloss, wo hast du den her?“

Text
Inga Griese
Bilder
Vanni Bassetti für Christian Dior Parfums