Bereits in den 50er-Jahren erkannte Christian Dior die Bedeutung des japanischen Marktes. Jetzt gilt es, wieder mehr Präsenz zu zeigen. Mit der spektakulären Ausstellung „Designer of Dreams“ sind die Zeichen gesetzt.
MIT DEM
JAPANISCHEN BLICK
Die jungen Japanerinnen am Eingang des Glasbaus vom Museum of Contemporary Art in Tokio grüßen höflich scheu. Typisch japanisch. Doch ihr freundliches Lächeln erkennt man selbst hinter den schwarzen Masken, die hier nicht rücksichtsvolle Kür, sondern noch immer Pflicht sind. Gegensätzlicher könnte der resolute Schritt von Florence Müller da nicht sein. Im knallroten Dior-Jackett zu einem schwarzen Tüll-Rock (ein typischer Maria-Grazia-Chiuri-Look) stürmt sie heran. Die Kuratorin entschuldigt sich für ihre Verspätung, lässt es sich nicht nehmen, selbst durch die Ausstellung „Designer of Dreams“ zu führen, die der Entwicklung des Hauses Dior gewidmet ist. Und dem Einfluss, den die japanische Kultur in seiner 75-jährigen Geschichte hatte. „Übrigens reiste Christian Dior selbst nie hierher“, stellt sie ihren Erklärungen voran. „Er hatte leider bis zu seinem frühen Tod 1957 nicht genug Zeit, um die Welt zu erkunden.“
350 Exponate durfte die Französin in den Archiven für die vierte Station der Wanderausstellung aussuchen, die sorgfältig verpackt im Herbst 2022 den Weg nach Japan antraten, bis Mai können sie nun dort besichtigt werden. Ein Jahr lang erarbeitete die 65-jährige Kunsthistorikerin die Ausstellung, die Szenografie entstand mit dem New Yorker Architekturbüro OMA unter der Leitung eines Japaners. Als die erste Präsentation dieser immer wieder lokal modifizierten Ausstellung 2017 in Paris gezeigt wurde, wartete das Publikum teilweise acht Stunden auf Einlass. Der Hype in Japan wird sicherlich ähnlich verlaufen. Mit der kleinen Anpassung, dass Japaner sich nicht beschweren, wenn sie anstehen müssen.
„Sich in all die vielen Dokumente einzuarbeiten, hat irrsinnig Spaß gemacht“
sagt Müller, die sich tatsächlich mit ü schreibt. Als Kunsthistorikerin, die auch mal als Bibliothekarin arbeitete, ist das ihr Metier. Hinzu kam, dass Dutzende japanische Privatsammler ihre persönlichen Dokumente, Fotos, gar Einladungskarten zu Dior-Schauen zusammengetragen und zur Verfügung gestellt haben.
„Wir waren überrascht,
was wir alles wiedergefunden haben.“
Im Oktober 1953 trat das Haus Dior erstmals in Tokio in Erscheinung, ohne Vertrag, ohne Abstimmungen. „Monsieur Dior war ein echter Superstar. Nicht nur hier. Das Kaufhaus Daimaru eröffnete eigens einen Dior Salon – dessen Design an die 30, Rue Montaigne erinnerte, präsentierte dort die Pariser Mode an japanischen Modellen. Obwohl Dior selbst nie vor Ort war, wusste er genau, was passierte, interessierte sich aus der Ferne für noch so jedes kleine Detail.“ Er erlaubte den japanischen Partnern wie Daimaru und Kanebo, seine Schnittmuster und fertigen Modelle zu kaufen und ließ ihnen die Wahl sie zu adaptieren. „Seine Mode war ja traditionell für Paris und die USA gemacht, niemand hatte Erfahrungen mit westlicher Mode für japanische Frauen, ihre Körper waren weit weniger kurvig“, erklärt sie und zeigt auf ein paar Exponate im ersten Raum. „Monsieur Dior war äußerst progressiv, handelte nach dem heute gültigen Prinzip ‚Act local‘, weswegen auch japanische Stoffe zum Einsatz kamen“, erzählt Florence Müller. Kulturelle Aneignung empfand niemand. „Traditionelle japanische Stoffe sind wunderschön. Doch Japan wollte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in die Moderne eintreten, in allen Bereichen. Was passte hier besser als der New Look?“ Den Look, den Dior 1947 kreierte, der die Taille betonte, Modegeschichte schrieb und mit üppigem Stoffverbrauch nach der kargen Kriegszeit den Frauen huldigen sollte.
Bis heute schätzen Japaner alles Französische: die Mode, Macarons, Ballerinas, das Savoir-faire. Insofern hatte Pietro Beccari in seiner Zeit als CEO – seit Februar ist er jetzt CEO von Louis Vuitton – in seiner Wachstumsstrategie das asiatische Potenzial betont. Zumal Dior in Japan bisher noch „unterrepräsentiert“ sei, eher als Haute-Couture-Haus wahrgenommen wird, unter Beccaris Ägide aber zum globalen Lifestyle-Player aufgestiegen ist. Die große Boutique in Ginza, mitten im Luxusshopping-Mekka der Hauptstadt, bekam vor Kurzem noch ein Café und Restaurant dazu. Man sitzt auf Dior-Stühlen, isst vom hauseigenen Porzellan französische Köstlichkeiten und trinkt Champagner.
Doch nicht nur Monsieur Dior, der in seinem Elternhaus in Granville bereits Anfang des 19. Jahrhunderts von japanischen Zeichnungen umgeben war, die Exotik der Blumen und Vögel faszinierend fand und diese „seine Sixtinische Kapelle bildeten“, wie er in seinen Memoiren aufschrieb, ließ sich von dem fernen Land inspirieren. Die Ausstellung zeigt in einem weiteren Raum, wie die nachfolgenden Designer von Yves Saint-Laurent, Marc Bohan, Gianfranco Ferré, John Galliano, Raf Simons bis zu Maria Grazia Chiuri die Marke geprägt haben. Das ließ Florence Müller nicht durch eine japanische Brille laufen, aber sie räumt ein, dass „der Einfluss der japanischen Schule bis heute enorm ist. Rei Kawakubo ist quasi die Göttin. Alle lernen von ihr. Das Haus Dior gab viel, aber Europa bekam von Japan auch sehr viel zurück.“
Skurrile Accessoires, Hüte von Stephen Jones, Taschen, Kunst und Modeaufnahmen der Künstlerin Yuriko Takagi, die Archivstücke in neuer Inszenierung zeigen, ergänzen die Ausstellung. Man wünscht der engagierten Kuratorin, dass auch diese ein voller Erfolg wird. „Wissen Sie, ich erzählte einem ehemaligen Professor vor einigen Jahren, dass ich nun mit Mode arbeitete. Damals ein No-Go, für das ich mich in Historikerkreisen schämte. Das hat sich geändert. Inzwischen kommen Museumsdirektoren auf mich zu und bitten darum, dass ich eine Ausstellung über einen Designer für sie konzipiere.“ 150 hat sie weltweit schon umgesetzt. Weil LVMH-Eigentümer Bernard Arnault schon 1987 entschied, ein hauseigenes Dior-Archiv zu gründen, konnte sie hier aus dem besonders Vollen schöpfen.