Ganz für sich sind Reisende nur noch an wenigen Orten dieser Welt. Im Wüstenland Namibia ist die Besiedlung dünn und das Erlebnis groß. Seit Jahren erschließt und unterstützt das Safari-Unternehmen Wilderness das Land. Jennifer Hinz ging mit, Holden Frith fotografierte
Die Wüste, die nicht vergisst
Eine Formation von Kreisen und Ovalen formt einen Schuhabdruck. Nike Air Force 1, ganz sicher – und so klar zu erkennen wird er wohl auch für die nächsten Jahrhunderte sein. Die Namib Wüste im Nordwesten Namibias vergisst nichts. Kein Regen spült hinweg, kein Wind bläst davon. Was sich einmal in dem trockenen Boden eingenistet hat, hat ein Bleiberecht erwirkt. Das gilt auch für die wenigen Pflanzen und Tiere. Menschen müssen sich hier behutsam fortbewegen, um im Entdeckungshunger keinen zu sichtbaren Fußabdruck zu hinterlassen. Das lernt der Gast gleich, wenn er vom Schotterpistentrollfeld zum Wilderness Safari Camp im Jeep gebracht wird und der Fahrer peinlich genau auf den alten Reifenspuren manövriert. Einmal wird angehalten, um eine verirrte Cola-Dose einzusammeln. Klar ist: Wer nach Namibia kommt, findet keinen Massentourismus und Scharen von Safarijeeps. Einzigartig bleibt die Landschaft hier vor allem, indem sie sich das Leben so gut es geht vom Hals hält.

Bei Wilderness respektiert und fördert man dies. 1983 von den botswanischen Reiseleitern Colin Bell und Chris McIntyre gegründet, ist das Naturschutz- und Hospitality-Unternehmen heute in sieben weiteren Ländern Afrikas unterwegs. Kultur-Tourismus mit Luxus-Standard soll neben Landschaft, Tieren und Menschen auch die Geschichte einer Region am Leben erhalten. Es sind die genussbewussten Rimowa-Koffer-Touristen, die – mit Propellerflugzeugtauglichen Duffle-Bags getarnt – großen Nutzen für die abgelegenen Regionen bringen. Ihre Anwesenheit schafft Arbeitsplätze und finanziert Naturschutz, wo das Land längst nicht mehr alle ernähren kann; und wo Bewahren eine Frage des Geldes geworden ist. Im Wüstenland Namibia ist das eine besondere Herausforderung, denn ein Quadratkilometer ernährt nur etwa drei Menschen. Immer am Kleinen, Feinen orientiert, fügen sich die Wilderness Camps wie natürliche Oasen in die Landschaften.
Der Anblick gleicht einer kleinen Sensation, wenn am Ende der Reifenspuren olivfarben das Camp Hoanib Skeleton Coast aus dem Wüstensand wächst. Acht geräumige Zelt-Suiten mit gezackten Dächern ordnen sich halbmondförmig um ein Wasserloch an. Jedes hat eine überdachte Terrasse. Den Spuren des Pagen im Sand folgend, fallen andere Abdrücke auf, die sich für das ungeübte Auge nur grob als Huf- und Zehenspuren einordnen lassen. Alles, was Beine hat, strebt zum Wasserloch und wer sich mit etwas Zeit und dem in jeder Suite bereitgestellten Feldstecher auf der Terrassen-Couch niederlässt, kann Affenfamilien, Springböcke und mit Glück sogar Elefanten beim Trinken beobachten. Das Wasserloch der Menschen nennt sich Bar und ist wie Lobby und Restaurant am Scheitelpunkt der Halbmondformation platziert. Gereicht wird Amarula auf Eis. Hier erfährt man, dass der Pool, dessen blau mit weißen Wolken spiegelnde Oberfläche als einziger Kontrast das Bild in Beige durchbricht, in der Vergangenheit schon Löwen zum Planschen angelockt hat. Der Mensch ist hier eine Randerscheinung, dessen Präsenz geduldet wird. Kein Wunder, dass Gästen beim Check-in eingebläut wird, niemals in der Dunkelheit allein zum Zimmer zu gehen oder es zu verlassen. So richtet man sich in seinem komfortablen Zeltzimmer ein, freut sich über die Yoga-Matte im Schrank, brüht einen Tee auf und späht immer wieder durch die bodentiefen Fenster.






Es klopft pünktlich zum Abendessen an der Tür: der Abholservice. Ein entspannter Begleiter leuchtet den Weg mit einer Taschenlampe auf funkelnde Tieraugen ab. Was bei einem Zusammentreffen tatsächlich geschieht, ließ sich in den drei Tagen des Besuchs – glücklicherweise – nicht herausfinden. Es gäbe keinen Grund zur Unruhe, beschwichtigt der Begleiter und verharrt mit dem Lichtkegel auf einem Busch, der sich als harmlos entpuppt. Weder Löwe noch Elefant hätten Lust, sich mit Menschen anzulegen. Es gilt: Wer den Weg zum Wasserloch nicht stört, wird im Gegenzug auch nicht auf seiner Terrasse behelligt.

Bei einem hervorragenden Drei-Gänge-Menü und einer Flasche südafrikanischem Shiraz kommt die Frage auf, was Touristen in die Wüste lockt. Schließlich muss alles, was hier verzehrt wird, jede Woche hunderte Kilometer herangekarrt werden – wie in den meisten Wildernis Camps. Und trotzdem soll das Konzept ein nachhaltiges sein. 14 der 37 Camps werden komplett mit Solarstrom betrieben. Neben intensivem Recycling wird Wasser gesammelt und aufbereitet. Einen Tisch weiter tauscht ein Elefanten erforschendes Ehepaar seine Erkenntnisse mit einer auf Hyänen spezialisierten Kollegin aus. Das Camp ist für sie Basis an einem Ort, an dem es sonst unmöglich wäre, über einen längeren Zeitraum zu forschen.
Ein Coffee Table Book in der Lobby von Stammgast und Fotograf Michael Poliza belegt die Vermutung: Diese Wüste kann mehr als nur Beige. Bekannt für seine spektakulären Luftaufnahmen, leisten der Deutsche und seine Linse Schwerstarbeit, um Flussläufe, Felsstrukturen, die häufig wie grüne grobporige Dinosaurierhaut wirken, und Tierherden einzufangen. Doch auch die anderen Sinne wollen was erleben.







Eine Tagestour zur Skelettküste im Westen veranschaulicht, dass Wasser zwar Leben, aber nicht unbedingt überleben bedeutet. Spitz zulaufende Dünen aus pudrigem Wüstensand prägen dort das Land wie die Finnen dahinziehender Wale. In der Ferne hat eine Oase in verwaschenem Khaki kurzfristig ihren Platz in den Dünen erobert. Mit ihr eine Vielzahl von faszinierenden Vögeln und Reptilien. Aber ansonsten macht die Skelettküste ihrem Namen alle Ehre, allenthalben sieht man Tierskelette und auch ein rostiges Schiffswrack. Wer hier vor 100 Jahren gestrandet ist, hatte praktisch keine Überlebenschance, weil es weder Trinkwasser noch Essbares gab. Inzwischen gibt es immerhin ein kleines Dörfchen mit hemdsärmelig errichteten Häusern. Zufluchtsort vor allem für Forscher der Region. Zwei Löwenschwestern, Alpha und Bravo, besuchen regelmäßig die Gegend. Hier finden sie eine Delikatesse, die eigentlich nicht auf ihrem Speiseplan steht und es vermutlich der großen Menge geschuldet nun doch tut: Seerobben. Abertausende von ihnen lümmeln sich auf den grauen Felsen, recken die Hälse in alle Richtungen, um ja nicht den massigen Körper bewegen zu müssen, grunzen, stöhnen, zetern. Ungelenk hoppelt der Nachwuchs durch das Gewimmel, rutscht gelegentlich ab und dem Falschen auf die Pelle. Im Wasser sind sie in ihrem Element, surfen mühelos Wellen, die hier für jeden Schwimmer ein schnelles Ende in den Felsen bedeuten würden. Im Auto überlegt man, den Rest des Tages dem Studium dieser ungewollt komischen Tiere zu widmen. Allerdings nur bis zum Öffnen der Wagentür, dann trifft einen der Schlag. Nein, es ist vielmehr ein Geruch, der so eindringlich in die Nase steigt, als hätten Puma und Pavian gemeinsame Sache gemacht. Geatmet wird von nun an durch den Mund. Wenn die schönsten Bilder im Kasten sind, muss man flüchten. Ins Auto. Durchatmen.





Weniger tierisch geht es im südlicher gelegenen Camp Little Kuala in Sossusvlei zu. Naturnähe lässt sich in dem 27.000 Hektar großen Kulala Wilderness Reserve anders genießen. Die Pforte im hohen Zaun einer der schwarzen Strohdach-Suiten führt auf eine Terrasse, die Infinity-Pool-ähnlich mit der Steppenwüste verschmilzt. Wen die Füße nicht mehr tragen, der genießt die Aussicht von einem Kingsize-Daybed oder taucht sie direkt in den eisigen kleinen Privat-Pool daneben. Nach dem Abendessen wird sich die Liegelandschaft in ein komfortables Bett mit warmer Decke und frisch aufgeschlagenen Kissen verwandelt haben. Es gilt die Empfehlung, mindestens eine Nacht draußen unter den Sternen zu schlafen. Nachdem eine Horde mausgroßer Heuschrecken in der ersten Nacht nicht dafür spricht, erscheint die zweite ohne verdächtiges Zirpen perfekt für einen Versuch. Die Aussicht ist fantastisch: Die Milchstraße schlängelt sich zart wie ein Schleier über einen samtschwarzen Himmel. Das Kreuz des Südens bekräftigt die Erkenntnis, in einer anderen Welt angekommen zu sein. Geborgenheit stellt sich ein, während sich der Blick zwischen Dunkelheit und jenen Himmelskörpern, die sie vertreibt, verfängt. Das Gemüt ist beruhigt, nur der Körper nimmt jedes Rascheln, jeden Windhauch zu genau wahr. War das ein Tier oder nur das eigene Haar, das über die Stirn streicht? Es dauert, bis die Augen zufallen, und sie wären es auch geblieben, hätte nicht mitten in der Nacht ein vertrautes Summen am Ohr aufhorchen lassen. Mücken! Wo eine ist, da sind noch mehr. Tschüss Sterne, hallo Bett unterm Moskitonetz.

Der nächste Tag beginnt, bevor die Hitze Leinen in nasse Lappen verwandelt. Vor dem Hotel stehen vier Quads bereit. Nach einer kurzen Einführung knattert die Gruppe wenig später durch die hügelige Wüste, jeder ein bauschiges Staubwölkchen hinter sich herziehend. Die Natur scheint näher, man selbst mittendrin. Womöglich hat man die Erde auch verlassen und ist im Film „Dune“ gelandet. Nicht weit weg erstrecken sich die 300 Meter hohen roten Dünen, die es noch zu erklimmen gilt. Immer wieder kreuzen Tierspuren den Weg. Etwa einen Kilometer entfernt grast eine Herde Oryxantilopen. Sie haben die Quads schon längst gehört, scheinen aber erst einmal nicht besorgt. Am Wegesrand steht kauend und allein ein Abtrünniger. Wir brummen einen steilen Hügel hinauf. Von oben sieht man die Herde Schritt für Schritt den Boden nach etwas Essbarem absuchen. Die Zeit vergeht schnell. Noch schneller steigen Sonne und Temperaturen. Und so knattert man nach zwei Stunden freudig dem Frühstück und einem frischen Hemd entgegen.

Im Camp Serra Cafema zeigt sich, dass Tourismus-Einnahmen, richtig eingesetzt, eine ganze Gesellschaft in ihrer ursprünglichen Struktur am Leben erhalten kann. Seit Jahrhunderten lebt am Fluss Kunene an der Grenze zu Angola das Volk der Himba. Kleine selbstgefertigte Hütten, keine mehr als zwei Quadratmeter groß, kreisförmig angeordnet, sind ihr Zuhause. Anzutreffen sind an diesem frühen Morgen nur die Himba Frauen mit ihren Kindern. Die Männer treiben das Vieh zum Grasen den Fluss hinauf. Die Kinder freuen sich über den gar nicht mehr so exotischen Besuch. Wilderness kümmert sich um die Himba, indem man sie mit dem Nötigsten wie Wasser versorgt oder im Notfall einen Arztbesuch organisiert. Während der Pandemie stellte man sogar die Impfungen. Einige Familienmitglieder der Himba arbeiten im Serra Cafema Resort. Allgemein kommen 85 Prozent der Angestellten in den Camps aus den hiesigen Communities. Ein Angestellter kann so etwa sieben Familienmitglieder mitversorgen.






Menschen, die meinen, schon alles gesehen zu haben, sei eine Safari ans Herz gelegt. Mit dem Sichten von Tieren verhält es sich in etwa wie mit dem Sammeln von Pokémon. Gesehen haben will man sie alle, doch einige Tiere wecken größere Begehrlichkeiten als andere. Ganz vorneweg: der Löwe. Während die Gruppe Giraffen, Antilopen und Hyänen bereits mit einem Häkchen versehen konnte, zeigt sich die Existenz der drei hiesigen Löwinnen lediglich in Form von Spuren im Wüstensand. Und denen folgt man, den Kopf aus dem Jeep reckend, vorzugsweise früh am Morgen oder in der Abenddämmerung. Es geht durch das ausgetrocknete Flussbett. Vorbei an grasenden Oryxen und Gazellen. Manchmal verwischt die Spur, der Fahrer hält an, überlegt und muss von da an seinem Instinkt folgen. „Stop!“, ruft die südafrikanische Kollegin aus der letzten Reihe. Sie meine, den Schrei eines Pavians gehört zu haben. Eine Art natürlicher Alarm für die Gegenwart von Raubkatzen. Die Gruppe lauscht konzentriert. Stille. Die Sonne küsst den Horizont. Die Suche wird für heute abgebrochen, zum Trost ein doppelter Amarula auf Eis gereicht. Alle drei Löwinnen tragen zu Forschungszwecken Halsbänder, die zweimal am Tag den Standort an das Forschungsteam übermitteln. Bewusst hat man sich bei Wilderness dagegen entschieden, das Signal für touristische Zwecke zu nutzen. Eine Hetzjagd würde den Spaß für alle Beteiligten ruinieren. Doch der Druck ist groß, morgen geht es schließlich wieder nach Hause.
So entscheiden sich Gruppe und Guide am nächsten Tag, die frühen Morgenstunden für einen letzten Versuch zu nutzen. Im Morgengrauen ist alles in dunkles Sepia getaucht. Ein Felsen könnte aus der Entfernung auch ein Löwe sein und umgekehrt. Der Jeep kommt zu einem abrupten Stillstand, als sich ein besonders flauschig bewachsener Stein plötzlich bewegt. Augen und eine Schnauze schälen sich aus den Erdtönen hervor. Die Löwin lümmelt im noch kühlen Sand. Von ihren Schwestern ist nichts zu sehen. In einer fließenden Bewegung steht sie auf und duckt sich hinter die Reste eines ausgedörrten Baums. Weshalb, bleibt einige Minuten unklar, bis sich von der anderen Seite der Ebene eine zierliche Gazelle nährt. Das Tier zögert, tippelt auf der Stelle. Es wittert Gefahr. Die Löwin bewegt sich keinen Millimeter. Etwa 20 Minuten dauert dieses Geduldsspiel. Schließlich taucht die aufgegangene Sonne die Löwin in ihre heißen Strahlen und sie gibt auf. Nicht, ohne sich noch einmal ausgiebig zu strecken und dann lässig am Jeep vorbeischarwenzelnd ins schattige Flussbett hinabzuklettern. Namibia hat nun alles gegeben, was es zu bieten hat. Von all den herrlichen Eindrücken lässt sich noch eine ganze Weile zehren.






