„Zeichne doch bitte deine Weihnachtsgeschichte für das Cover.“ Das tat Florentine Joop, die ICON schon seit Jahren ihr kluges Schreibtalent und ihre Kreativität zur Verfügung stellt. Inspiriert vom surrealen Dior-Film zur Haute Couture legten sie und ihre üppige Fantasie los. Und was die 46- jährige Illustratorin, die mit Mann, drei Kindern, Patchworkfamilie, Eltern und Hühnern auf einem kleinen Gut in Potsdam lebt, sich dabei dachte, lesen Sie hier:
Wundernacht
What a year! Meine Liebsten sind Menschen, denen die Aluhutfraktion und/oder die Hysteriker-Front den Witz, den Mut und die Liebe zum Leben nicht nehmen konnten. Und die zwei, drei Ärzte mit ihrem trockenen Humor, die im engsten Freundeskreis für Ruhe und Ordnung sorgen. Und natürlich, wir Frauen. Lo and behold, wir schaffen das ja immer irgendwie. Haushalt, Haare, ZoomMeeting, Essen, Job, Kinder bespaßen, erziehen und Mathe beipulen. Lehrern die magische Welt der Lern-Apps nahebringen. Manche Ehe wurde überdacht, Kinder haben als Schnapsidee entlarvt unter vielem anderen wegen dieses furchtbaren „Homeschoolings“, da hat man sich, haha, auf das englische Idiom geeinigt hat, weil HEIMBESCHULUNG echt schlimm klingt. Aber egal, Raute machen, tief in den Schlüpfer atmen, „Wir schaffen das!“ ins zentrale Chakra murmeln. Ich will wieder tanzen gehen!
Wo war ich? Ach ja: Und da begab es sich dieses Jahr, da mussten die Menschen kreativ werden. Und es machten sich kreative Köpfe allüberall auf gedankliche Reise, wie man diese Zeit des Shutdowns, wenn Veranstaltungen auf dem gesamten Globus eingestampft werden, immer noch irgendwie nutzen kann. Das Traditionshaus Dior zum Beispiel. Ja, wenn man weiß, wie viel eine Haute-Couture-Schau kostet all in, dann weiß man, dass man davon auch einen Spielfilm drehen könnte. Das haben sie dann auch gemacht. Und da war sie, die kleine Meerjungfrau. Glücklich planschte sie mit ihrem herrlichen Fischschwanz durch den Fluss. Moment – gibt es Flussjungfrauen? Egal, die Pagen des Hauses Dior brachten ihr die Miniaturschneiderpüppchen, denen die Haute-Couture-Modelle der Herbst-Winter-Kollektion vortrefflich auf den Miniaturleib geschneidert worden waren. Die kleine Meerjungfrau verliebte sich in ein zauberhaftes Kleid und schwamm fortan in jenem Traum aus Seide durchs Wasser. Und wer dachte, dass ein Fischschwanz schon unpraktisch ist, der sollte mal versuchen, in Haute Couture durch den Bach zu paddeln. Aber wie elegant man eben mit Krisen umgehen kann. Sie als Chance für Neues oder auch ganz alte Ideen, denn das Schneidern von Miniaturmodellen in Originalstoffen an den Miniaturschneiderpuppen hat Tradition in Kriegs- und Krisenzeiten.
Und wir können uns einfach kurz hinwegträumen. Und so entstand auch das Titelbild. Inspiriert durch Diors wunderbaren Haute-CoutureFilm und Terry Gilliams Legetrick in „Life of Brian“, begann ich meine Collage.
Wie wird es nur werden dieses Weihnachten, dachte ich bei mir: Werden wir uns doch nicht aufmachen können und alle in unsere Heimatstädte reisen? Diese eine Story in der Bibel, die von so erhabener Schönheit ist, so unglaublich aktuell in einer Zeit wie der unsrigen. Und was sie erzählt über die Geburt und die Hoffnung in finsterer Nacht. Denn es wurde uns ja nicht nur ein Heiland geboren in dieser Nacht, es wurde uns auch eine Mutter Gottes geboren. Sie ist die eine Göttin, die für uns Frauen da ist. Aber sie verdient es, in Couture zu erscheinen. Also fing ich an, mein Krippenspiel zu bauen, so, wie wir immer am Tag vor Heiligabend die alte Krippe meiner Familie aufbauen und jedes Jahr Figuren dazustellen (denn wer sagt denn, dass die Schleich-Krake NICHT dabei gewesen war?), entstand meine Heilige Nacht. Und die Drei (genderneutralen und diversen) Holy Queens aus dem Morgenmantel, die noch auf ihre Couture warten, aber im Accessoire-Bereich schon gut beschenkt wurden, kommen dieses Jahr eben auch nur in Miniatur und vielleicht via Skype zu Besuch. Hoch über allem thront das Haus Gottes oder Diors, mit Engelswachen, in dem Gott sei Dank immer Licht brennt und Wunder erschaffen werden. Zum Beispiel das Wunder der Heiligen Nacht, wenn Soldaten aus den Gräben steigen und für einen wunderbaren Moment die Waffen schweigen und ein Lied die Dunkelheit erhellt. Stille Nacht, heilige Nacht. Wenn wir uns für diesen kurzen Moment an einem Ort versammeln, auf diesem Tausende Jahre alten Zeitstrahl, irgendwo zwischen Kindheitserinnerungen, den eigenen Zielen, aktueller Lebenssituation und der deutschen Fichte.