Ein 5-Sterne-Hotel am Vierwaldstätter See hat sich der Aufgabe verschrieben, die Batterien seiner Gäste wieder aufzufüllen. Wir wollten das testen.
Einmal auf
Reset, bitte
„Mit welchen Erwartungen kommen Sie zu uns?“ – fragt Dr. George Gaitanos, ein sportlicher Mann, Mitte 50, an Tag zwei in der gemütlichen Lounge des 5000 Quadratmeter großen Spa im „Chenot Palace“. Ein Interview mit einer Gegenfrage zu starten, scheint ungewöhnlich. Doch in diesem Fall bin ich „Patientin“. Von ihm, dem wissenschaftlichen Direktor und Chief Operating Officer der Chenot Group, sowie seinem Team aus Ärzten, Physiotherapeuten, Heilpraktikern, Kosmetikerinnen, Masseurinnen und Trainern. Acht Tage lang, Anfang Juli, lasse ich mich auf die Methode von Henri Chenot, einem Pionier der Präventionsmedizin ein. Ich wollte einmal in professioneller Umgebung das Erlebnis des Fastens spüren, fühlen, wie mein Körper auf eine Extremerfahrung reagiert. Und erst mein Geist! Der ist bei der Anreise widerwillig, denn der nette Mann von der Rezeption, der mich auf das Zimmer mit Blick über See und Alpenpanorama bringt, öffnet den Schrank und erklärt, dass es nur einen Dresscode gibt: Bademantel.
Das „Chenot Palace“ wurde im Sommer 2020 nach einer Komplettsanierung und Neugestaltung wieder eröffnet und thront über dem Vierwaldstätter See
Außer beim Abendessen sei man jederzeit und überall in ihm willkommen. Extrem flauschig und taupefarben ist er. Immerhin. Doch noch lehne ich dankend ab. Klar, zu den Spa-Behandlungen, die an jedem Tag ab neun Uhr für mich starten, komme ich gern im Bademantel, zu allen anderen Anlässen ziehe ich mich an. Ich bin schließlich nicht krank. Aber nach ein paar Tagen schwindet die Kraft und es kostet Überwindung, sich richtig anzuziehen. Nach nur wenigen Stunden in den Schweizer Bergen bin ich müde. Das mag aber auch am strengen Fastenprotokoll liegen: 850 Kalorien gibt es über den Tag auf drei Mahlzeiten verteilt, kein Koffein, Zucker, Alkohol und Salz. Keine Snacks. Verzicht ist das Motto.
„Patienten kommen zu uns, um Körper und Geist zu resetten“
erklärt Dr. Gaitanos die Chenot-Methode, die vor allem bei Franzosen, Italienern und Schweizern beliebt ist. In Deutschland kennt man traditionell Buchinger oder F.X. Mayr. Doch Henri Chenot, der im Dezember 2020 verstarb, kurz nachdem er sich mit dem Haus in Weggis seinen Lebenstraum erfüllt hat, gilt als Pionier der Präventionsmedizin. Der Franzose mit katalanischen Wurzeln studierte Biologie, konzentrierte sich später auf Psychologie, chinesische Medizin und Naturheilkunde und eröffnete 1974 in Cannes eine Poliklinik zur Gesundheitsprävention. Seine Vorstellung war, dass sich durch bestimmte alltägliche Gewohnheiten Giftstoffe im Körper ansammeln, die sich dann später zu degenerativen Krankheiten entwickeln. Aus diesen Überlegungen heraus entwickelte er medizinische Wellnessprogramme, das Konzepts der Biontologie (Wissenschaft des Lebens) und die nach ihm benannte Methode, die auf der Wieder- herstellung des Gleichgewichts der Körperfunktionen beruht. „Wir stellen Ihren Körper neu ein. Einst war er voll geladen, die Batterie lässt mit der Zeit nach, verliert Energie, durch das Altern, äußere Faktoren, den Lebensstil. Sobald das ganze System zurückgesetzt ist, beginnt es wieder zu kommunizieren.
Es gehe nicht darum forever young zu sein,
erklärt der Nachfolger Henri Chenots, sondern darum, möglichst lange gesund leben zu können. „Das Durchschnittsalter unserer Gäste liegt bei Frauen zwischen 40 und 53, bei Männern zwischen 45 und 57. Je früher Sie anfangen, desto besser.“ Auf jeden Patienten wird das Programm individuell abgestimmt, die 850 Kalorien sind für alle gleich, nur den kompletten Fastentag lasse ich aus. Die Ärzte und Therapeuten besprechen den Plan, schauen auf die Schwachstellen. Alles wird in einem kleinen Notizhefter vermerkt, der nur „die Bibel“ genannt wird und wie Bademantel und Kräutertee zu meinen täglichen Begleitern zählt. Ohne die Bibel keine Anwendung. Jeder Morgen startet gleich. Die Chenot-Methode wird so gut gehütet wie die Coca-Cola-Formel:
Mini-Frühstück aus Fruchtpüree mit Tee oder Chicorée-Kaffee. 9.30 Uhr Detox-Bad, danach Fangopackung und 20 Minuten Wärmebad, es folgt die Hydro-Jet-Dusche, um die Fangopackung loszuwerden und alle Detoxprozesse im Körper zu fördern, ihn zu straffen, den Stoffwechsel anzukurbeln. Hydro-Jet klingt futuristisch.
Letzten Endes ist es eine dunkelgrau gekachelte überdimensionale Dusche, die Therapeutin steht in vier Meter Entfernung ausgerüstet mit dem Schlauch hinter mir und braust in kreisförmigen Bewegungen den grünen Schlamm ab. Erst warm, und dann: kalt. Eiskalt. Es dauert drei Tage, bis ich mich an diese Prozedur gewöhne. Es folgt eine 50-mintüge Schröpfmassage, die Muskeln und Faszien entspannen soll, jeden Tag wird ein anderer Meridian bearbeitet, im Wortsinn. Angenehm ist etwas anderes, doch wenn es hilft? Nach dem Drei-Gänge-Mittagessen folgen weitere Therapie- oder Sportmöglichkeiten, die Auswahl ist grenzenlos. Oder doch lieber eine Kosmetikbehandlung oder Maniküre? Eine Runde im See oder Pool schwimmen, bevor es am Abend wieder in den Speisesaal geht? Schließlich ist bei mir um 21 Uhr Bettzeit. So ein Detox-Tag ist anstrengend. Nach sieben Tagen sind mein Yin und Yang wieder im Fluss, die Meridiane nicht mehr blockiert. Ich selbst staune nicht schlecht über das Ergebnis. „Ursprünglich dauerte das Programm zwischen 9 und 13 Tagen. Als Henri es in den 70ern entwickelte, hatten die Menschen mehr Zeit. Doch Lebensstil und Technologien haben sich geändert und deshalb können wir das Programm beschleunigen und besser umsetzen.“ Zwei Kilo leichter und voller Energie verlasse ich an Tag acht die Anlage und als ich die Auffahrt des Hotels hinunterfahre und im Radio plötzlich „Forever Young“ von Alphaville ertönt, beschließe ich, dass ich wiederkommen werde.