Der Fotograf und Polarforscher Sebastian Copeland ist ganz nah dran am Klimawandel. Mit seinen Bildern will er aufrütteln. Ein Plädoye.
Ehrgeiz und Demut
Ein Seufzer der Erleichterung ging am Samstag, den 7. November, um die Welt. Egal wie man zum Ausgang der US-Wahlen steht, ein klarer Gewinner steht derzeit schon fest: die Umwelt. Die unaufhörlichen Angriffe der Trump-Regierung auf Normen und Konventionen hatten auch vor ihr nicht haltgemacht. Die Gesetzgebung von Dekaden wurde zurückgerollt. Trauriger Höhepunkt war der Rückzug aus dem Pariser Klimaabkommen von 2015. Von 197 Unterzeichnern waren die USA die Einzigen, die sich offiziell davon abwendeten. Am 19. Februar dieses Jahres trat das Land wieder bei und erfüllte damit eines von Präsident Bidens wichtigsten Wahlversprechen. John Kerry, der Mann, der den Vertrag 2015 unterschrieben hatte und nun der Sonderbeauftragte des Präsidenten für Klimafragen ist, will das Land „mit Ehrgeiz und Demut“ zurück zum Ausgangspunkt führen.
Plötzlich gibt es wieder Licht am Horizont. Aber was bedeutet diese Unterschrift wirklich?
Oberflächlich betrachtet, geht es bei dem Abkommen darum, die globale Erderwärmung auf zwei Grad Celsius im Vergleich zu 1880 zu deckeln, mit dem zusätzlichen Ziel, sie bei 1,5 Grad zu halten. Derzeit wurde gerade die Grenze von einem Grad überschritten. Die USA zählen zu den Ländern mit dem größten CO2-Ausstoß pro Kopf, in der Gesamtheit liegt das Land auf Platz zwei hinter China. Deutsch- land übrigens auf dem sechsten Platz. Es bräuchte einen globalen Beraterstab, um diese Weltuntergangsmaschine zu neutralisieren, und wir sollten globale Unternehmen dafür gewinnen, dieses Unterfangen zu finanzieren. Man stelle sich vor, ein Asteorid würde auf die Erde zurasen und es gäbe noch ein Zeitfenster ihn umzulenken. Mit dem Klima ist es nichts anderes, die Zeit rennt. Die Ablehnung eines Kohlenstoffbudgets hat Konsequenzen: ein aus den Fugen geratenes Wetter mit steil ansteigenden Temperaturen, Artensterben, der Anstieg des Meeresspiegels und damit einhergehend die Verschiebung von Landesgrenzen, Hungersnöte, die Veränderung der Wasservorkommen, die zur Migration von Millionen von Menschen führen.Es hat auch noch weitere Konsequenzen: soziopolitische, geopolitische, nicht zu erwähnen die psychologischen Folgen. Der Klimawandel wird uns verändern er hat es schon getan.
In meinem Bereich der Polarexpeditionen könnten die Aussichten nicht düsterer sein: Die Ausdünnung des arktischen Eises wird in wenigen Sommern zu seiner totalen Auflösung führen. Im Süden gilt der Kollaps des südwestlichen Eisschilds schon jetzt als unaufhaltsam. Das führt dazu, dass bereits Bewohner vonbestimmten Küstenregionen umgesiedelt wer- den müssen. Wie auch Leonardo DiCaprio in meinem Buch schrieb:
„Der Verlust dieser unglaublichen arktischen Schönheit ist ein Verlust unserer Seele. Und es wird nicht lange dauern, bis der Körper folgt, der in den Tränen der Erde ertrinken wird.“
Und trotzdem sind nur 54 Prozent aller Amerikaner „alarmiert“ oder „besorgt“. Global gesehen, herrscht mit 68 Prozent mehr Vernunft, aber als großer Klimasünder tragen die USA auch eine große Verantwortung. Um eine zeitgemäße Metapher zu verwenden: Wenn Amerika niest, kriegt die Welt die Grippe. Natürlich dürfen deshalb andere Nationen nicht vom Haken gelassen werden, aber Präsident Biden hat nun mal versprochen, Aktionen gegen den Klimawandel zur Priorität zu erheben. Die Probleme, vor denen er und die Welt stehen, sind nicht nur durch Politik, sondern auch durch Verhalten geprägt. Unsere kollektiven Verhaltensweisen spiegeln eine tiefe Entkopplung von der Dringlichkeit des Problems – selbst unter Unterstützern.
Nehmen wir als Beispiel Kalifornien, Vorreiter progressiven Denkens, besonders wenn es um die Umwelt geht. Waldbrände nahmen dem Bundesstaat 17.0000 Quadratkilometer Ressource. Und das nach Jahren ohnehin schon unvorstellbarer Zerstörung. Meteorologen und die Waldbehörde der USA sagen voraus, dass es noch schlimmer wird. Totes Holz, das durch winzige Käfer verseucht wird, die sich durch die zu warmen Winter massiv ausbreiten können, birgt explosives Potenzial. Dasselbe Prinzip gilt für Deutschland. In Folge steigt die Intensität, Ausbreitung und Länge der Waldbrand-Saison in den gesamten USA wie auch in Europa. In den letzten sechs Jahren wurden in den USA jährlich im Durchschnitt 33.000 Quadratkilometer Land zerstört. Eine Fläche größer als Belgien. Diese Zahl verblasst nur vor Australien, wo 186.000 Quadratkilometer Land allein 2020 zerstört wurden – eine Fläche so groß wie Syrien.
Jedes Jahr sind wir tief bewegt, wenn wir den Verlust von Leben auf der Erde live im Fernsehen verfolgen: gestrandete oder verbrannte wilde Tiere. Uns wird schlecht, wenn wir die ökonomischen Folgen überschlagen. Und dennoch: Kalifornier, Australier und viele andere kehren zu ihrer verbrannten Erde zurück, überzeugt, dass der Garten Eden aus der Asche auferstehen wird. Diese Einstellung wurde auch von den Versicherungen unterstützt – solange, bis die Verluste geschäftlich keinen Sinn mehr machten. An diesem Punkt übernahm die Regierung, um für die Aufrechterhaltung der Policen zu bürgen. Diese Subventionen sind zynisch.
Phoenix, im Südwesten gelegen, ist die am schnellsten wachsende Stadt in den USA. Menschen ziehen dorthin auf der Suche nach wolkenlosem Himmel und wirtschaftlichen Chancen.
Vergangenes Jahr kletterten die Temperaturen an 53 Tagen auf 43 Grad. 1990 waren es 29 Tage. Dieser Trend übt großen Druck auf das örtliche Stromnetz aus und trocknet die Flüsse Salt und Colorado weiter aus. Phoenix hat heute 4,5 Millionen Einwohner und ist in den vergangenen 30 Jahren um das Fünffache gewachsen.
In Florida, „Vorzeigestaat“ für gewaltige Stürme und Anstieg des Meeresspiegels, hat sich die Bevölkerung seit Hurrikan „Andrew“ im Jahr 1992 auf 22 Millionen verdoppelt. Aber Stromausfälle, tödliche Stürme, der Verlust von Küstenlandschaft, ausgetrocknete Wasser- becken, Feuer und schlechte Luftqualität können die Illusion vom guten Lebens anscheinend nicht zerstören. Die sture Weigerung, die Realität der Umweltzerstörung anzuerkennen, ist so universell wie beunruhigend. Menschen, die es sich leisten können, ziehen in Regionen, die Lebensqualität und eine gute Zeit bieten und denken an die dystopischen Orte der Welt höchstens im Nachgang. Das gilt von Spanien bis Südafrika, von Australien bis Brasilien.
Die Menschheit klammert sich immer noch an den Glauben der Aufklärung: Dass wir uns als Ingenieur unseres Schicksals aus allem befreien können. Dass die Natur selbst der beste Ingenieur ist, lassen wir dabei außer Acht. Denken wir an den Amazonas: Er ist die größte Kohlenstoff-Kläranlage, er saugt CO2 aus der Luft und verwandelt es in Sauerstoff, liefert Nährstoffe für das Ökosystem und bringt täglich Wasser in die Atmosphäre. Diese atmosphärischen Ströme tragen Regen und Schnee Tausende Kilometer weit. Einer ihrer Profiteure? Kalifornien. Dessen Waldbrand-Saison endet auch mit diesem Regen. Aber unvorstellbar große Flächen unberührter Amazonas-Urwald wurden absichtlich niedergebrannt. Unglaubliche Mengen an Treibhausgasen gelangen so in die Atmosphäre, sodass wir nun auf Werte kommen, wie wir sie seit 20 Millionen Jahren nicht gesehen haben.
Präsident Biden hat versprochen, in den USA nach dem Vorbild Europas bis 2050 Klimaneutralität herzustellen. China strebt das Jahr 2060 an. Europa plant, bei 55 Prozent zu liegen. Dieses Ziel könnte am „Tag der Erde“- Gipfel am 22. April verkündet werden, bei dem Biden der Gastgeber ist. Technologie könnte diese Ziele greifbar machen. Wind- und Solarenergie sind günstiger als fossile Brennstoffe, Wasserstoff eröffnet neue Möglichkeiten der Energiegewinnung und elektrische Motoren sind in Reichweite – nicht nur für Autos, auch für Schiffe und Flugzeuge. Aber wie steht es mit der Begehrlichkeit solcher Maßnahmen? Desinformation und die nicht lineare Entwicklung des Klimas säen Konfusion und bestärken Leugner:
Auch eine kaputte Uhr geht zweimal am Tag richtig.
Konsumenten ändern ihr Verhalten zu langsam, die Deutschen zögern bei der Umstellung auf elektrische Autos. Sie machen nur 1,2 Prozent des Marktes aus. In China sind es fünf Prozent. Aber Covid hat auch zu einer neuen Nachdenklichkeit geführt. Wir sollten niemals eine Krise ungenutzt verstreichen lassen: Dies könnte unsere letzte Chance sein, unsere Zukunft willentlich zu gestalten. Man sagt, ein Stern leuchtet am hellsten, kurz bevor er stirbt. Unser Licht könnte dank erneuerbarer Energien vielleicht nicht ewig, aber auf sehr lange Zeit leuchten. Wir haben dreißig Jahre Zeit, das hinzukriegen.
Der Amerikaner Sebastian Copeland, der mit seiner Familie in München und LA lebt, hat sich als vielfach ausgezeichneter Fotograf und Antarktisexperte auch einen Namen als ernst zu nehmender Umweltaktivist gemacht. Sein neuestes Werk ist „Antarctica: The Waking Giant“ mit einem Vorwort von Leonardo DiCaprio (Rizzoli). Bis zum 19. Mai zeigt die Camera Work Virtual Gallery faszinierende Expeditionsaufnahmen. sebastiancopeland.com