Man hört sie kaum, aber ihre Präsenz ist enorm. Alles an ihrem Wesen ist unaufdringlich: Doch kaum taucht Claudia Schiffer aus der Umkleide in der Coombe Park Villa auf, gilt alle Aufmerksamkeit ihr – sogar in Frotteeschlappen und mit Bademantel über der Schulter. Und das hat nichts damit zu tun, dass sie in der wuselnden Crew die Hauptdarstellerin ist. Sondern mit dem Wow-Effekt.
Frau Schiffer, das Haus, in dem wir Sie gerade fotografieren, ist ein schönes Bespiel für spannende Architektur. Interessiert Sie Design?
Während meiner Zeit als junges Model in Paris verbrachte ich viel Zeit damit, durch Galerien zu schlendern. Ich erinnere mich an eine Andy-Warhol-Ausstellung im Centre Pompidou, bei der ich dachte, eines Tages würde ich gerne eines der Bilder kaufen. Es war das erste Geschenk, das ich mir selber machte, und über die Jahre genoss ich es, unsere Sammlung aufzubauen, eine Auswahl zeitgenössischer Kunstwerke zusammen mit Antiquitäten und Familienerbstücken. Bei jedem einzelnen Stück haben wir darauf geachtet, unser Interieur persönlich zu halten und die Architektur unseres Hauses zu unterstreichen. Zum Beispiel den Lichtverhältnissen in den verschiedenen Zimmern gerecht zu werden oder ihnen durch Farbe und Muster Wärme und Persönlichkeit zu vermitteln, vor allem den Schlafzimmern und kleineren Räumen.
Ich erinnere das riesige Sofa in Ihrem Haus in Notting Hill. Es machte das Ganze so familiär. Ist das, was die Skandinavier „hygge“ nennen, für Sie wichtiger als Design?
Ich denke, man kann beides haben. Wir lieben es, Gäste zu haben, ein entspanntes und komfortables Zuhause war uns deshalb sehr wichtig, ebenso dass es praktikabel mit Kindern und Tieren ist. Wir haben also beispielsweise Möbel gewählt, die uns besonders gut gefielen, aber haben sie mit eher robusten Stoffen wie Cord und Moleskin bezogen.
Sie gelten international als Stilikone. Wonach haben Sie die Outfits für diese Aufnahmen ausgewählt?
Ich habe gelernt, was zu mir passt – und es gibt bestimmte Stücke, die einen natürlichen Reiz auf mich haben. Aber ich liebe es auch, neu zu kombinieren. Unter den Frühjahr/Sommer- und Herbst/Winter-2018- Kollektionen gab es viele aus den 80er-Jahren inspirierte Trends und ich fand es spannend, sie wieder zu entdecken. Darüber hinaus gab es da dieses starke Gefühl femininer Sinnlichkeit, seine Weiblichkeit zu spüren. Ich habe das für mich in einer Weise übersetzt, die sich richtig für mich anfühlte, von einer bodenlangen Robe mit verzierten Ärmeln und prägnantem Schmuck bis hin zu einem kompletten Distressed-Jeans-Look.
In der ersten Aufnahme auf der oberen Terrasse tragen Sie Rosa, sehen darin aber energisch und stark aus. Fühlen Sie sich damit gut beschrieben?
In dieser Saison gab es viel Pastell, und ich probiere gerne neue Trends, solange sie sich gut für mich anfühlen, egal, ob neue Farben oder Stilrichtungen. Ich tue das instinktiv und unangestrengt.
Was macht Sie stark?
Vor allem der Glaube an mich selbst, die Unterstützung der Menschen, die ich liebe. Und die Freiheit wählen zu können, wofür ich hart gearbeitet habe. Mode und Kosmetik waren überdies eine wichtige gestalterische Kraft in meinem Leben, sie verhalfen mir zu Selbstbewusstsein und der besten Version meines Selbst.
Und welchen Rat würden Sie anderen Frauen geben?
Zu Beginn meiner Model-Zeit riet mir Karl Lagerfeld, ich solle einfach immer ich selbst sein und keine Energie darauf verwenden, so sein zu wollen, wie andere mich gerne hätten. Das blieb mir während meiner gesamten Karriere im Gedächtnis, ich habe auf mich und meine Instinkte vertraut. Diesen Rat würde ich definitiv weitergeben.
Das Thema der Geschlechter wird aktuell sehr diskutiert, die Rolle der Frauen heute, insbesondere seit Beginn der #MeToo-Kampagne. Was ist Ihre Meinung zu diesen Themen? Sind Sie politisch interessiert?
Meiner Meinung nach sollten wir immer nach gleicher Bezahlung und gleichen Chancen streben. Das Modeln ist natürlich einer der wenigen Bereiche, in dem Frauen deutlich mehr verdienen können als Männer. Darauf könnte ich verzichten, wenn Frauen in anderen Berufen so viel verdienen würden wie ihre männlichen Kollegen. Im Laufe meiner Karriere hatte ich viel Glück, aber ich war auch belastbar. Es ist keine leichte Industrie, und ich erinnere mich noch sehr gut, wie jung und verwundbar ich zu Beginn meiner Model-Zeit war. Ich denke, dass Kampagnen wie #MeToo, aber auch die sozialen Medien im Allgemeinen, einen positiven Einfluss haben auf Transparenz und freie Meinungsäußerung.
Sie scheinen einen natürlichen Instinkt für Ihre Arbeit am Set zu haben und eine angeborene Sinnlichkeit. Kommt das einfach so oder müssen Sie sich darauf einstellen?
Vieles von dem, was ich heute am Set tue, egal ob ich es selbst leite oder angeleitet werde, geschieht mittlerweile vollkommen natürlich. Aber wenn ich auf einige der Aufnahmen schaue, erkenne ich auch, dass ich verschiedene Rollen dabei angenommen habe. Das bin immer noch ich, aber ich habe etwas vermittelt oder jemanden verkörpert, um eine bestimmte Botschaft zu transportieren.
Sie sehen weiterhin fantastisch und alterslos aus, müssen Sie viel dafür tun?
Ich versuche, die elementaren Dinge abzudecken, wie ausreichend Sport und viel Trinken. Unter der Woche ernähre ich mich äußerst gesund, aber an den Wochenenden gehe ich alles etwas entspannter an und mache Ausnahmen, wie zum Beispiel ein gutes Glas Rotwein oder ein selbst gemixter Maracuja-Martini!
Gibt es Momente, in denen Sie das Leben mit Disziplin satt sind, Momente, in denen Sie denken oder sagen: „Genug damit!“?
Ich habe immer hart dafür gearbeitet, was ich habe, und nach 30 Jahren bin ich glücklicherweise an einem Punkt, an dem ich wählerisch sein kann. Was ich also tue, tue ich eher aus Begeisterung als aus Disziplin.
Essen oder trinken Sie auch mal etwas Ungesundes?
Aber natürlich, meine Laster sind Rotwein, Käse und Brot!
Viele Schauspieler erzählen von dem Prozess, dem sie sich zur Vorbereitung einer Rolle unterziehen, und wie sie sich dann beim Dreh in die Rolle hineinbegeben, die nichts mit ihrem privaten Selbst zu tun haben muss. Können Sie sich damit identifizieren?
Ich kann mich definitiv mit der Idee des „in eine Rolle schlüpfen“ identifizieren, diese Erfahrung habe ich insbesondere beim Modeln oder Schauspielern gemacht. Auch bin ich immer offen damit umgegangen, welch wichtige Rolle Mode und Make-up in meinem Leben spielten, um einen bestimmten Charakter oder die beste Version meines Selbst auszudrücken.
Victoria Beckham sagt, sie lache nicht auf Fotos, weil sie ein öffentliches und ein privates Gesicht bewahren will. Wie halten Sie es?
Ich bin eine durchweg zurückhaltende Person. Es sagt mir mehr zu, Gäste zu haben, als selbst Gast auf einer Party zu sein, und wir genießen es sehr, Menschen für länger bei uns zu haben. An den Wochenenden ist unser Haus fast immer voller Gäste und Kinder, das ist wunderbar. Sie leben schon sehr lange in England.
Haben Sie eine deutsche und auch eine britische Seite mittlerweile?
Abgesehen davon, dass ich von Haus aus sehr organisiert und ehrgeizig bin, bin ich zudem sehr zielgerichtet und habe ein Auge für Details, was glaube ich, beides auf meine deutschen Wurzeln zurückzuführen ist. Mein starkes kreatives Gespür hat sich dagegen vor allem durch mein Eintauchen in die britische Kultur verstärkt.
Helen Mirren bevorzugt den Begriff „ProAging“ statt „Anti-Aging“. Was ist Ihre Meinung dazu?
Dem stimme ich zu! Ich denke, man sollte dem Altern entspannt begegnen und sich freuen über die Erfahrungen, die man im Laufe der Jahre macht.
Sie besitzen eine Make-up-Linie. Gibt es Schönheits-Tipps, die Sie geben können?
Mein Fünf-Minuten-Schönheitsritual ist ideal für viel beschäftigte Frauen, die wenig Zeit haben. Mit dem Raindrop-Schwamm trage ich meinen BB Primer oder Cream Concealer auf alle unregelmäßigen Stellen. Dann nehme ich meinen Lippen- und Wangenstift in Sherbet für einen rosigen Teint. Danach verwende ich meine Wimpernzange und die Luxurious Volume Mascara. Sie hat eine aufbauende Textur, ich kann sie also mehrere Schichten vom Ansatz bis zu den Spitzen auftragen, dadurch erhalten die Augen einen strahlenden Blick.
Machen die eigenen Kinder den Alterungsprozess leichter oder verändern sie dessen Perspektive?
Wenn man Kinder hat, ist man verantwortlich für die Existenz dieser wertvollen Geschöpfe und ich möchte ihnen dasselbe großartige Leben ermöglichen, das ich hatte. Ich glaube, mit zunehmendem Alter erhält man dann einen anderen Blickwinkel, weil man es vor allem genießt, seine Familie wachsen zu sehen und durch die verschiedenen Stadien der Elternschaft zu gehen.