Inselgeschichte

Stille Größe

Wer die Stimme von Synchronsprecher Christian Brückner hört, denkt zu Recht an Robert De Niro. Mehr als Hollywood gibt dem 76-Jährigen jedoch Föhr.

Das Jahr ist sehr anders verlaufen als gedacht. Viele Aufträge vom Kölner Dom bis zur Elbphilharmonie sind weggebrochen. Ich bedauere das nicht, obwohl ich gern arbeite. Ich betrachte die freie Zeit als Geschenk. Ihr haben wir wochenlange Ferien in unserem Haus auf Föhr zu verdanken – inzwischen schon drei Monate. Der Frieden der Insel hat in Zeiten der Bedrohung seinen neuen Augenblick.

Wir, meine Frau Waltraut und ich, entschieden uns 1969 für Föhr, weil sie gute Erinnerungen an die Insel hatte. Als Kind verschickte man sie dorthin zur Erholung. Das gefiel ihr sehr gut. Wir wollten damals einen Ferienort für unsere Kinder finden, wo sie spielen können, ohne dass andere Hotelgäste „Psst!“ zischen. Geld hatten wir zu dem Zeitpunkt keines. Trotzdem fanden wir 1969 unter großen Schwierigkeiten ein winzig kleines Häuschen. Später haben wir mit zwei Freundespaaren Geld zusammengelegt und 1976 gemeinsam ein größeres Haus gekauft. Im Laufe der Zeit hat sich ein Paar scheiden lassen, die anderen zogen nach der Wende Richtung Ostsee und wir blieben übrig. Unsere Kinder und Enkelkinder sind dort groß geworden.

Es ist ein altes Reetdachhaus. In solch ein Haus verliebt man sich, oder man lehnt es ab. Die Decken sind niedrig, durch die Türen muss man als großer Mensch geduckt gehen. Aber wenn man sich verliebt, wird es zum Zuhause, und man werkelt ein Leben lang dran rum. Das tun wir bis heute und sind nicht fertig. Besonders gern arbeiten wir im Garten, um dem eine Gestalt zu geben. Das Ziel ist natürlich kein französischer Garten, sondern ein Stück Grün, was in die Landschaft passt.

Föhr besticht durch seine Bescheidenheit. Diese kleine Insel mit ihren beschaulichen Dörfern hat die Sylter Sünden nicht mitgemacht. Was für ein Glück, dass die Zeit hier langsamer verrinnt. Von überall hat man Anschluss an die Elemente: ans Wasser, an den Himmel. Du guckst von deinem kleinen Fleck in das ganz Große – und das finde ich Wahnsinn. Tradition spielt noch immer eine große Rolle, wie etwa Trachten und Brauchtum. Bei den Dorffesten sind wir immer dabei. Es ist nicht mehr Alltag, aber an Festtagen zeigt sich der Stolz auf diese Dinge. So wie es auch einen Stolz auf die friesische Sprache gibt. Die wird unter den „Einheimischen“ nach wie vor gesprochen. Man ist hier eben doch etwas abgeschiedener von allem. Verstehen tue ich das Friesische ein bisschen, sprechen nicht, es ist fast eine Fremdsprache.

Besonders gefällt mir die Kirche St. Laurentii, eine der drei Insel-Kirchen und Überbleibsel aus der Zeit, als die nordfriesischen Inseln alle noch zusammenhingen. Die Grabsteine auf dem Friedhof erzählen die Geschichten von damals. Drinnen wandert der Blick nach oben zu den herrlichen Fresken. Ich genieße die Stille.

„Was für ein lebendiger Ort.“ Gedanken von Christian Brückner: 

Christian Brückner

2000 haben meine Frau und ich den Hörbuchverlag Parlando gegründet. Hier lese ich ausschließlich die Bücher, die wir für wichtig halten und von denen wir hoffen, dass sie auch den Hörern etwas bedeuten können. Die Arbeit im Studio, die Tatsache, dass es unser eigenes literarisches Programm ist – das erfüllt uns mit großer Freude. Egal, wo ich hinkomme, meine Stimme stellt sofort Öffentlichkeit her. Das führe ich darauf zurück, dass ich schon so lang dabei bin. 1976 gab es ein Casting für „Taxi Driver“ von Martin Scorsese. Seitdem bin ich die Stimme von Robert De Niro. Zusammentreffen mit meinem Publikum – die Bezeichnung Fans finde ich blöd – sind eigentlich immer angenehm. Gelegentlich gebe ich auf der Insel öffentliche Auftritte: in unserer kleinen Kirche St. Laurentii, dem Museum Kunst der Westküste oder in der Bücherei. Aber bewusst selten. An so einem Ort bin ich lieber nur zu Hause.

Foto dpa

Föhr besticht durch seine Bescheidenheit. Diese kleine Insel mit ihren beschaulichen Dörfern hat die Sylter Sünden nicht mitgemacht. Was für ein Glück, dass die Zeit hier langsamer verrinnt. Von überall hat man Anschluss an die Elemente: ans Wasser, an den Himmel. Du guckst von deinem kleinen Fleck in das ganz Große – und das finde ich Wahnsinn.

Illustriert von
Tim Dinter
Aufgezeichnet von
Jennifer Hinz