Birkenstock hat mit Londoner Modestudenten eine Kollektion herausgebracht. Die Entwürfe zeigen, wie weit die Marke gekommen ist.
Ist das Kunst oder Mode?
Die Kombination klingt erst mal merkwürdig: Eine Sandale mit einem Riemen, der bis zum Knie reicht. Ein Schuh, der an eine Beinschiene erinnert, aber vorne gepolstert ist wie der Beinschutz einer Motorradausrüstung. Und das alles bedruckt mit dem schrillen grafischen Muster eines 80er-Jahre-Skianzugs.
Alex Wolfe, der britische Designer, hat einen großen Teil seiner Karriere noch vor sich – aber seine Interpretation der „Tallahassee“-Sandale von Birkenstock, ein Design aus den 90er-Jahren, verspricht Großes. Wolfe ist einer von zehn jungen Studenten der Central Saint Martins-Akademie in London, die für das deutsche Traditionsunternehmen auf Basis von Archiv-Modellen Schuhe entwerfen durften. Und er ist einer von vieren, deren Entwürfe in die Serienproduktion gegangen sind. Sein martialisch anmutender Hybridschuh kann nun gekauft werden. „Hier geht es um eine Investition in Ausbildung und Mode“, sagt CEO Oliver Reichert. „Die Studenten verdienen eine Lizenzgebühr, ihr Name steht im Fußbett – das gab es noch nie und ist bedeutsam für ihre Karriere.“
Dass Karrieren damit gestartet werden, die Ideen von anderen, etablierten Designern zu analysieren und reflektieren, ist gängige Praxis. Dieser Prozess stand auch im Mittelpunkt der Zusammenarbeit von Birkenstock und Central Saint Martins. 2018 wurden Studenten des Bachelor-Studiengangs „Fashion History & Theory“ damit beauftragt, im Archiv von Birkenstock zu recherchieren und dieses aufzubereiten. In einem zweiten Schritt forderte man einen anderen Master-Jahrgang dazu auf, diese Recherche-Ergebnisse als Inspiration für eigene Interpretationen der Birkenstock- Schuhe zu nutzen.
Die Geschichte der Marke macht sie zu einem besonderen Kooperationspartner: Ein Hersteller von funktionalen, naturnahen Freizeit- und Arbeitsschuhen, der es, ohne es zu planen, zum einflussreichen Bestimmer in der Modebranche gebracht hat.
Gute alte Qualitätsarbeit aus dem modeskeptischen Deutschland steht plötzlich mitten im Spannungsfeld zwischen Social-Media-Hypes und dem wachstumshungrigen Luxusmarkt.
Fotografiert von Matteo Carcelli
Die Pandemie hat in diesem Markt vieles durcheinandergebracht, aber das Unternehmen aus Neustadt ist als Gewinner hervorgegangen. 2020 gehörten Birkenstocks zu den beliebtesten und meistgesuchten Schuhen der Lockdown-Gesellschaft. Davon wollen auch andere profitieren: Die Beteiligungsgesellschaft L Catterton hat gemeinsam mit der von LVMH-Chef Bernard Arnault kontrollierten Investment-Firma Financière Agache eine Mehrheit der Anteile übernommen.
Die Finanzspritze soll die Expansion in Asien vorantreiben – zum trendgesteuerten Fashion-Label will man aber nicht werden. „Hype interessiert uns nicht. Innovation und Talent sind es, was unsere Projekte ausmacht“, sagt Oliver Reichert, selbst ein großer, ruhiger Mann. Beides steckt in den Entwürfen der Studenten. Das Modell der Studentin Saskia Lenaerts wirkt wie ein rutschfester Wasserschuh, der Chinese Dingyun Zhang verband extra weich gepolstertes Leder mit Klettverschlussriemen, die Sandalen von Alecsander Rothschild erinnern an die Flügelschuhe des Götterboten Hermes. Jedem Schuh gelingt es, eine altbekannte Silhouette aus einer gänzlich neuen Perspektive zu zeigen.
Ein roter Faden verbindet sie alle: das Fußbett. Eingeschränkt habe ihn dieses wichtige Element nicht, sagt Alex Wolfe. „Regeln geben deiner Designarbeit eine Richtung. Sie machen das Ergebnis natürlicher.“ Wer die Richtung kennt, kann davon abweichen. Das Ziel ist dann umso spannender.