Anfang Oktober traf sich eine kleine Gruppe aus Kreativen und Redakteuren im Sadler`s Wells-Theater in London. Gemeinsam saßen sie in einem mit grünem Licht durchfluteten Saal, die Stühle weit auseinander, die Masken im Gesicht. Die sehr intime Modenschau, zu der Bottega Veneta-Designer Daniel Lee vor zwei Monaten einlud, erinnerte in vielerlei Hinsicht an die alten Couture-Salons der 50er- und 60er-Jahre. Andererseits spiegelte sie einen bisher nie dagewesenen Moment in dieser oft surreal anmutenden Gegenwart wider: Menschen müssen voneinander ferngehalten werden, die Welt ist plötzlich ganz klein geworden und die Kommunikation erfolgt über Augenblicke oder ein Lächeln, das sich hinter einem Stoffstreifen andeutet – wenn überhaupt. Eigentlich erfolgt sie fast nur noch digital. Das passt Daniel Lee, dessen Abwesenheit auf Social Media immer wieder betont wird, so gar nicht. Klar, wer für Bottega Veneta arbeitet, liebt und lebt für das Haptische und Sinnliche. Für seine neue Kollektion „Salon 01“ gab er sich größte Mühe, dieses Gefühl auch an die weiterzugeben, die in London nicht dabei sein konnten. Ihnen wurde eine grüne Tasche mit drei üppigen Büchern sowie einer Schallplatte zugeschickt. Auf dieser war die samtige Stimme von Neneh Cherry zu hören, die während der Modenschau live sprach. Ein Buch illustrierte die Inspirationen hinter der Schau, ein zweites versammelte Collagen, Texte und Fotografien der deutschen Künstlerin Rosemarie Trockel und ein drittes beinhaltete Backstage- und Laufstegbilder der Präsentation, aufgenommen von Tyrone Lebon.
Für Körper, die tanzen wollen
BOOK ONE: Inspiration
Die Fotos wirken Schnappschussartig, hastig festgehaltene Eindrücke einer Party unter Freunden, familiär aber lebendig. Die Mode drückte eine ähnliche Stimmung aus: Sie verströmte die Wärme des Zuhauseseins, ein Cocooning-Chic, gewoben aus dicken Wollgarnen, die zu grobmaschigen Strick verarbeitet wurden. Gleichzeitig sind das keine Entwürfe, in denen man sich Zuhause einmummelt: Sie wollen raus, gezeigt und bewundert werden, sie umschmeicheln einen Körper, der tanzen und sich bewegen will. Die Röcke sind kurz, die Jacken knapp, die Kleider körperbetont. Manche wurden aus Perlen gefertigt, wie man sie auch von Autositzbezügen kennt, selbst am Bildschirm meint man das Klick-Geräusch zu hören, das sie bei Bewegung erzeugen. Viel zu schade zum Verstecken sind auch die an den Hüften wattierten langen Kleider, inspiriert von den Silhouetten im England unter der Tudor-Regentschaft und mutig in ihrer Aussage. Im post-pandemischen Zeitalter, so suggeriert diese Kollektion, wird die Freude an Mode, Handwerk und texturreichen Materialien groß sein – und die Anzahl an Menschen, mit denen wir sie teilen können, auch. Man wird ja wohl noch hoffen dürfen.
BOOK TWO: Rosemarie Trockel
BOOK THREE: Tyrone Lebon