Bitossi ist ein italienisches Traditionsunternehmen für Keramikkunst. Mit internationalen Kooperationen lotet man kreative Grenzen aus. Wir besuchten die Manufaktur.
DER GUTE TON
Bitossi ist ein italienisches Traditionsunternehmen für Keramikkunst. Mit internationalen Kooperationen lotet man kreative Grenzen aus. Wir besuchten die Manufaktur.
Es ist nur eine Tür, die sich öffnet, aber es fühlt sich an, als würde der Vorhang hochgezogen: Wer den Showroom von Bitossi betritt, dem offenbart sich eine sinnliche Welt. Die Farben, Formen, Proportionen, Texturen, ja sogar Gerüche der ausgestellten Werke in der Keramik-Manufaktur wirken so erfrischend wie eine eiskalte Granita an einem heißen Tag am Strand: Im Kopf prickelts vor lauter sensorischen Eindrücken.
Exterior view Bitossi
Keramik ist eine Kunstform für die Wirklichkeit, in der virtuellen Welt kann all das kaum vermittelt werden. Vielleicht auch deshalb hat man sich bei Bitossi entschieden, das Archiv und den Showroom als „Bitossi Museum Archive“ nach vorheriger Anmeldung öffentlich zugänglich zu machen. Dazu reist man in die Toskana nach Montelupo Fiorentino, ein Örtchen mit 15.000 Einwohnern, 25 Kilometer westlich von Florenz gelegen. Montelupo ist seit dem 16. Jahrhun- dert ein Zentrum der Keramikherstellung und die Spuren der Familie Bitossi in diesem Gewer- be lassen sich zu diesen Ursprüngen zurück- verfolgen. Dass aus dem Namen eine bekannte Marke wurde, ist jedoch ein Projekt, das erst 1921 von Guido Bitossi in die Wege geleitet wurde. Heute führt dessen Urenkelin Ginevra Bocini das Unternehmen. Sie hat ihr Büro im historischen Haupthaus des Unternehmens. Ein großer, kühler Raum, in dem sich in den Wand-regalen und auf Tischen die Arbeiten stapeln. Es sind solche mit kleinen Produktionsfehlern: „Ich konnte sie einfach nicht wegschmeißen“, so die 41-Jährige. Bitossi, das wird schnell klar, ist die Art von Familienbetrieb, wo jedes Stück zum Inner Circle gehört und auch so behandelt wird. Wie eine wertvolle Persönlichkeit eben. Macken hin oder her.
Zu Gründungszeiten fertigte man hier Tee-service, Teller oder Weinkelche. Sie wurden gern von amerikanischen Pärchen auf Hochzeitsreise in Italien gekauft. Die Designs waren traditionell: renaissanceartige Ritter, ausgestellte Blümchen oder Ranken. Aber schon damals sind sie von Modernität überzogen – sei es in der Farbgebung oder bei den leicht grafisch arrangierten Mustern.
Ende der 40er-Jahre stieß Aldo Londi als Kreativdirektor zur Firma, ein Mann von überbordender Kreativität, der dazu noch eine Art patriotisches Marketing mit erfand: „Er wollte der Welt zeigen, was Italien zu bieten hat“, erzählt Elisabetta Daini, die durch das Museum mit den 7000 Einzelstücken führt. Sie sind chronologisch in lang gezogenen Holzregalen einsortiert, die sich in den Räumen einer Indus- triehalle mit großen Fenstern befinden. So entstanden Kollektionen mit Namen wie „Positano“, „Capri“ oder „Stromboli“. Londis bekannteste Serie bis heute ist die Serie „Rimini Blu“, die 1959 auf den Markt kam, in sattermeeresblauer Glasur mit schillernden grünen Untertönen. Sie besteht aus unzähligen verschiedenen Teilen, aus funktionalen Stücken wie Vasen, Schalen oder Tellern, aber auch aus dekorativen Objekten, viele von ihnen in Tier- form. 39 von ihnen werden heute noch produziert und verkauft, der Rest ist Jagdgut für Vintage-Liebhaber.
Londi entwickelte damals eine Stempeltechnik, jedes Stück wurde mit Mustern und Signets bedeckt, die hieroglyphengleich wie eine eigene Sprache wirken. Eine, die bei genauer Betrachtung kein reines Italienisch ist, denn er hatte während des Krieges fünf Jahre lang in britischer Gefangenschaft in Südafrika verbracht und sich dabei in den Kontinent verliebt, den er später immer wieder bereiste. In vielen seiner Entwürfe spiegeln sich Einflüsse, die er von dort mitbrachte – sei, dass er wilde Tiere modellierte, oder auch durch Muster und Formgebung. Über einen amerikanischen Kunden lernten sich Mitte der 50er-Jahre Londi und der Architekt und Designer Ettore Sottsass kennen. Es folgte eine jahrzehntelange Künstlerfreundschaft, aus der zahlreiche Kooperationen mit Sottsass für Bitossi hervorgingen. „Jedes Wo- chenende ließ Sottsass seine Frau in Florenz zurück und kam nach Montelupo, um mit Aldo zu spielen. Sie waren wie Kinder“, erzählt Daini. Aus diesen Spielereien entwickelten sich auch Ideen fernab von den Sujets klassischer Keramik, darunter eine Kleinstserie von je fünf hohen, bunt lackierten Säulen, die von unter- schiedlich großen Ringen und Kegeln um- schlossen sind und zueinanderstehen wie eine Gruppe von Individualisten, die sich unterhalten. Das Werk heißt „Totem 1-5“, wurde von Sottsass 1964 gezeichnet, aber erst rund 30 Jahre später verwirklicht.
Um solche Projekte zu realisieren, braucht es Profis beziehungsweise wahre Maestros. In den Hallen arbeiten 15 Handwerker aller Altersgruppen an den unterschiedlichen Produktions- schritten wie Modellierung, Glasur oder am Brennofen. Wie angesagt Keramik heute wieder ist, lässt sich nicht nur daran erkennen, dass sie mit den Bitossi-Kreationen augenscheinlich gut zu tun haben, sondern auch daran, dass Luxus- marken wie zum Beispiel Gucci oder Bottega Veneta hier besondere Produkte anfertigen lassen. Auch Fornasetti lässt hier fertigen. Und im Detail noch geheim, aber bei meinem Besuch bereits in der Mache: ein Keramikobjekt der Streetwear-Marke Supreme. „Wir haben seit den 70er- Jahren eine eigene Szene von Sammlern“, sagt Ginevra Bocini, „aber ganz allgemein gibt es ein Revival im Bereich Keramik.“
Könner am Werk: Keramik ist Handarbeit. Bei Bitossi werden die Möglichkeiten des Materials ausgelotet
Seit zwölf Jahren arbeitet sie in dem Familienunternehmen, seit sechs Jahren hat sie die Leitung von ihrer Mutter Cinzia übernommen. Ihre Vision?
„Mein Ziel ist es, die Vergangenheit zeitgenössisch anzubinden. Ich möchte so viel wie möglich Kontakt zu unterschiedlichen Kulturen und Denkweisen.“
Wie formbar im wahrsten Sinne des Wortes Keramik ist, zeigt sich dann auch in den jüngeren Kooperationen, die unter Bocinis Ägide bisher entstanden. Da sind beispielsweise die verspielten Stücke des französischen Designers Pierre Marie, der die Ästhetik historischen Keramikgeschirrs der Toskana aufgreift und daraus Kessel und Vasen ableitet, deren Funktionalität nicht eindeutig zuzuordnen ist. Dagegen wirken die rundlichen Vasen der „Seams“-Kollektion des Engländers Benjamin Hubert aufgeräumt. Ihre Besonderheit ergibt sich aus der textilen Anmutung des gebrannten Tons. Er wirkt bei Hubert wie staubiger Samt. Die ebenfalls englische Künstlerin Faye Toogood entwickelte amorphe Objekte, die prähistorisch bis extraterrestrisch wirken, darunter eines mit goldener Lasur. All diese Kollaborationen entstehen nicht auf dem Papier. Bocini ist es wichtig, dass die Künstler in die Welt von Bitossi eintauchen: „Es reicht definitiv nicht, dass sie mir einen 3-D-Scan von einer tollen Idee schicken“, sagt sie. „Die Authentizität einer Marke entwickelt sich weiter, wenn geschaut wird, was möglich ist.“ Deshalb verbringen die Künstler viel Zeit in der Manufaktur und im Archiv. Sie suchen sich historische Stücke aus und nehmen sie als Ansatz – „auch wenn sie am Ende in eine ganz andere Richtung gehen“, so Bocini. Sie beschäftigen sich mit Brenntechniken und Oberflächenbehandlungen. „Durch die technischen Limitierungen beginnen sie das Material zu verstehen“, so Bocini. „Es gibt jedoch immer wieder Überraschungen. Manchmal werden Defekte dann zum Konzept.“ So geschehen bei den „Vasi Strappati“ von Studio Formafantasma, die einerseits technisch anmuten und andererseits, an der Öffnung, als hätte jemand daran gerissen und so das Ende ausgefranst.
Es ist diese Mischung aus Verspieltheit, Enthusiasmus und Ernsthaftigkeit, der die Grenzen des Möglichen immer weiter versetzt. Nicht als technische, sondern als kreative Leistungschau. Zum Salone del Mobile wird Bitossi unter anderem eine Kooperation mit den belgischen Designern Muller Van Severen enthüllen. Es handelt sich um eine Serie von Vasen, die sich an Londis Klassiker Rimini Blu und den Arbeiten von Sottsass orientiert. Auch in dessen Sinne dürfte die Umarmung des traditionellen Werkstoffes durch eine weltoffene Designer-Gemeinschaft sein. Objekte, sagte er einst „berühren die Nerven, das Blut, die Muskeln, die Augen und die Stimmung von Menschen“. Im Idealfall eben wie eine gute Granita.
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