Billy Porter musste lange auf den Erfolg warten.
Heute wird der Sänger, Schauspieler und Star der Serie „Pose“ als Stil-Ikone und Anführer der queeren Bewegung in Hollywood gefeiert. Als Regisseur will er nun selbst beeinflussen, welche Geschichten im Film erzählt werden.
„Ich bin Teil einer Revolution“

Billy Porter mag gerade nicht auf der Bühne stehen, doch selbst ein Video-Interview mit ihm ist eine Show für sich. Er haut auf den Tisch, hebt und senkt seine Stimme an den entscheidenden Stellen, als würde er von einer Kanzel predigen, und macht lange Pausen, auf die meist ein dramatisches, aber reflektiertes Statement folgt. „Stell Billy Porter keine Fragen, deren Antwort du nicht hören willst. Porter wird immer die Wahrheit sagen“, sagt der Sänger und Schauspieler irgendwann über sich selbst. Der 52-Jährige, der seine Karriere am Broadway begann und seinen Durchbruch mit der Netflix-Serie „Pose“ feierte, die von der queeren „Ballroom“-Community im New York der 80er-Jahre handelt, musste viele Jahre lang verstecken, wie und wer er wirklich ist: Queer und „fabulous“. Doch damit ist es längst vorbei. Der Erfolg in seiner Karriere kam spät, aber dafür umso heftiger, brachte Grammy-, Emmy- und Tony-Awards sowie im vergangenen Oktober eine Biografie („Unprotected“, auf Englisch). Die Menschen feiern Porter, auch deshalb, weil er seine Modeliebe ungehemmt und exzentrisch auslebt: Auf dem roten Teppich zeigt er mit extravaganten Looks und genderfluiden Stylings, dass Männer jenseits von Smokings mit Kleidung experimentieren können. Da ist es nur logisch, dass er gebeten wurde, die Moderation der „Fashion Awards“ zu übernehmen, die im November in London stattfanden.
Mister Porter, Sie sind in Pennsylvania aufgewachsen, Ihre Familie war sehr religiös. Wie genau kommt man da mit Mode in Berührung?
Nun, jeder afroamerikanische Gottesdienst ist ja eine Modenschau für sich, die Leute brezeln sich extra dafür auf. Ostern und Weihnachten waren für mich die Höhepunkte des Jahres, weil ich neue Anzüge für den Kirchenbesuch bekam. Mir wurde beigebracht: Der erste Eindruck, den man macht, ist der wichtigste. Und ich habe früh gemerkt, welche Kraft Mode auf mich ausübt. Selbst wenn meine Laune noch so schlecht war, wenn ich mich gut anzog, ging es mir wieder besser.
Wann haben Sie gemerkt, dass sie gerne auch femininere Kleidung tragen wollten?
Ich bin mein ganzes Leben lang queer, aber von außen wurde mir stets vermittelt: Meine Queerness ist ein Problem und wird meinem Erfolg im Weg stehen. Während der ersten 20 Jahre meiner Karriere habe ich also versucht, einem maskulinen Ideal zu entsprechen. Doch dann bekam ich 2013 die Rolle der Dragqueen Lola im Broadway-Stück „Kinky Boots“ und hatte damit großen Erfolg. Das war eine Bestätigung. Ich wollte danach mehr an meinem Look feilen und ging zur Rick-Owens-Boutique in Soho. Dort sagte man mir: Alles hier ist unisex, probieren Sie an, was Sie wollen. Ich habe an dem Tag ganz schön viel Geld ausgegeben. Das war der Moment, als ich anfing, mit einem Mix aus maskuliner und femininer Mode zu experimentieren.
Ein Wendepunkt war Ihr Auftritt bei den Oscars 2019, als Sie vor die Fotografen am roten Teppich traten in einer Robe des Designers Christian Siriano, die obenherum wie ein Smoking aussah und unten in einem weiten Rock endete.
Die Idee dazu kam mir auf ganz organische Weise. Ich spielte seit einiger Zeit die Rolle des Pray Tell in „Pose“, ein schwuler Mann, der sich genau so kleidete, wie ich es tun wollte. Ich fand es magisch, dass das Universum mich zu dieser Rolle geführt hatte. Und als ich Christian Siriano kennenlernte, dachte ich mir: Das probiere ich jetzt aus, die Oscars sind der Superbowl der Entertainment-Branche, wenn ich mich als „Fashion Person“ positionieren will, ist das der Moment.
„Ich will eine Diskussion über Gender-Stereotypen in der Mode anstoßen und zu deren Ende beitragen. Warum ist Mode überhaupt geschlechtsspezifisch? Sie muss es nicht sein.“

Was wollen Sie mit Ihren Auftritten erreichen?
Ich will eine Diskussion über Gender-Stereotypen in der Mode anstoßen und zu deren Ende beitragen. Warum ist Mode überhaupt geschlechtsspezifisch? Sie muss es nicht sein. Auf der anderen Seite ist da dieses Ungleichgewicht: Frauen in Hosen und Anzügen gelten als stark, weil das Patriarchat beschlossen hat, dass Anzüge ein Symbol von Macht sind. Aber ein Mann im Kleid soll widerwärtig sein? Ernsthaft? Damit sagt man mir, dass Frauen weniger Wert sind. Und das ist doch bullshit. Ich wurde nur von Frauen großgezogen, meiner Mutter, Schwester, Tanten, die stärksten Lebewesen auf diesem Planeten. Die Männer in meiner Familie waren zu nichts zu gebrauchen.
Sie sind Teil einer Bewegung aus Männern im Showbusiness, die sich an feminine Mode trauen, wie Lil Nas X oder Harry Styles. Aber dass Letzterer als erster Mann im Kleid im Dezember 2020 auf dem Cover der US-„Vogue“ gelandet ist, haben Sie kürzlich in einem Interview mit der englischen „Sunday Times“ heftig kritisiert. Sie meinten, er sei nur so weit gekommen, weil er weiß und heterosexuell sei.
Bei dieser Diskussion geht es nicht um Harry Styles. Ich war in diesem Interview einfach „black and sassy“, schwarz und frech, habe mich falsch ausgedrückt und die Presse hat sich auf diese „Soundbites“ gestürzt. Worum es mir eigentlich geht, ist das System, das People of Color immer noch nicht den Platz und die Sichtbarkeit in der Kultur zugesteht, den sie verdient haben. Bevor dieses Cover erschien, saß ich mit Anna Wintour auf einer Condé-Nast-Konferenz und sie hat mich gefragt: „Was können wir besser machen?“ Da war ich zum ersten Mal in meinem Leben sprachlos.
Was haben Sie geantwortet?
Ich weiß es gar nicht mehr. Aber ich bereue, was ich nicht geantwortet habe: dass „Vogue“ mich aufs Cover nehmen sollte. Dass das Heft mit seiner Plattform queeren Stimmen mehr Raum geben sollte. Nicht nur mir. Aber ich bin ein Teil dieser Revolution, die gerade stattfindet. Wenige Monate später erschien dann das Heft mit Styles auf dem Cover. Bitte nicht falsch verstehen, ich bin nicht sauer oder neidisch. Ich bin selbst erfolgreich. Natürlich ist mir bewusst, dass ich vor einem Jahr noch nicht so berühmt war wie Styles, aber heute? Tja, ein Jahr kann einen sehr großen Unterschied machen (lacht). Jedenfalls sage ich: Lasst uns mit solchem Geschnatter nicht vom eigentlich wichtigen Thema ablenken. Seit dem Tod von George Floyd sagen alle, dass wir uns diesen schwierigen Diskussionen stellen müssen. Also sollten wir das auch tun.
Sie haben vor Kurzem eine Biografie veröffentlicht, in der Sie sehr offen über Traumata Ihres Lebens schreiben. Als Kind wurden Sie von Ihrem Stiefvater sexuell missbraucht, 2007 erhielten Sie eine HIV-Diagnose, die Sie erst in diesem Jahr öffentlich machten. Was hat Ihnen geholfen, solche Herausforderungen zu meistern?
Wer heilen will, muss dem Schmerz ins Gesicht schauen, und das habe ich durch jahrelange Therapie und durch dieses Buch getan. Zudem konnte ich über meine Rolle des Pray Tell in „Pose“ über vier Jahre lang viele Erlebnisse noch einmal durchleben und verarbeiten. Auch Pray Tell ist ein Zeitzeuge der Aids-Krise in den 80er-Jahren und erlebt, wie seine Freunde sterben, auch er infiziert sich mit HIV. Meine Kunst hat mir bei der Heilung geholfen. Aber ich stecke immer noch mitten in diesem Prozess.
Sie arbeiten nun erstmals als Regisseur, zwei Filmprojekte stecken bereits in der Produktion. Welche Geschichten möchten Sie erzählen?
Vor 20 Jahren sah ich eine Folge der „Oprah Winfrey Show“ im Fernsehen und die amerikanische Dichterin Maya Angelou war zu Gast. Sie sprachen darüber, wie wichtig es ist, sich zu fragen: Welchen Dienst will ich in dieser Welt leisten? Ich habe inzwischen verstanden: Ich bin schwarz, schwul und lebe das kompromisslos aus, und damit leiste ich einen Beitrag für Menschen, denen es so geht wie mir. In meinen Filmen erzähle ich Geschichten über junge Trans-Kids, die auf die Schule gehen, ihre erste Liebe entdecken und sich selbst finden – ich will die Community aus einer neuen, freudvolleren Perspektive heraus betrachten. Ich will eine Veränderung antreiben, nach der ich mich gesehnt habe. Ich weiß endlich, was mein Sinn im Leben ist, und Baby, das fühlt sich magisch an.







