Kost Nahost

Besuch in dem Resort, das gestern die Nationalelf bezog

Der Anwendungs-Kalender verspricht: „10.15 Uhr, orientalische Kopfhaut-Massage, Serenity Spa.“ Es wird: deutlich mehr. Denn inkludiert ist ein kleiner Exkurs in Lebenslehre. Therapeut Vedat hat zumindest nach seiner Behandlung von Kopf, Schultern und Rücken einige recht treffsichere Ratschläge. Unter anderem: „Seien Sie positiv egoistisch! Natürlich wollen wir es im Leben unserem Umfeld schön machen. Aber wenn im Flugzeug die Sauerstoffmasken aus der Decke fallen, dann soll man schließlich auch zunächst sich selbst versorgen, noch bevor man Kindern und anderen hilft.“

Nun steht es um den behandelten Körper nicht ganz so schlimm, wie es der Flugzeugvergleich vielleicht annehmen lässt. Aber ist die Szene in vielerlei Hinsicht typisch für das erst in diesem Jahr eröffnete „Zulal Wellness Resort by Chiva-Som“. Einem Ort, an dem die Mitarbeiter stets die Bedürfnisse der Gäste im Blick haben. Das Resort liegt an der nördlichen Spitze von Katar, und ist mit insgesamt 180 Zimmern die größte und wohl auch luxuriöseste Wellbeing-Oase des Nahen Ostens. In Deutschland wird es wohl als Team-Herberge der Fußball-Nationalmannschaft Aufmerksamkeit erhalten. Positiv egoistisch hat man sich entschieden, weitab der Metropole Doha und der anderen Teams die Ruhe zu suchen. Als Vorbild dieser Entscheidung gilt das ruhige WM-Quartier 2014 in Brasilien. Wir waren schon ein paar Wochen vor Hansi Flick und seinen Jungs dort.

Positiv egoistisch im Sinne von gnadenlos ehrlich und sehr mit sich selbst im Reinen muss festgehalten werden: Ohne diesen ganz besonderen Reiseauftrag wäre man wohl nie im Leben zum Entspannen und Detoxen nach Katar gefahren. Das Emirat mit seinen Erdgas- und Ölvorräten gilt zwar als maximal vermögend und sicher, aber eben auch als Förderer islamistischer Terroristen, und obendrein als ein Land, in dem das Leben von Gastarbeitern nahezu keinen Wert hat und Homosexualität drakonisch bestraft wird. Mit diesem Leumund ist es im Nahen Osten zwar nicht allein – doch auch diese Rechtfertigung macht es aus westlich-weltoffener Perspektive als klassische Urlaubsdestination nicht gerade attraktiver.

Wahrscheinlich darf oder muss man das „Zulal Wellness Resort by Chiva-Som“ darum als eine Art exterritoriale Enklave betrachten, obwohl es sogar der Herrscherfamilie gehört. Doch zu weit weg ist das Erlebnis hier vom katarischen Alltagseinerlei, und zu bunt gemischt und weltläufig sind die 350 Mitarbeiter aus 40 Nationen. Gleich nach der Ankunft stellt „Doktor Aashley“ vom medizinischen Team, das aus Ärzten, Physiotherapeuten, Krankenschwestern sowie studierten Experten unterschiedlichster Naturheilkunden besteht, die klassischen Fragen solcher Institutionen und erkennt auch ohne Nachfrage, dass vor ihm kein Gast mit Manuel-Neuer-Fitnesslevel steht, sondern eher der Typus Mario Basler. Was letztlich bedeutet:

 

Der Wille zu Fitness und Selbstoptimierung ist ausgeprägt, der Hang zum Genuss aber ebenso.

Damit, so stellt sich heraus, gehört man zu einer der Kernzielgruppen des Wellness-Resorts: Männer, die vorzugsweise in jeder Hinsicht etwas leichter und aufgeräumter abreisen wollen. Aashley verordnet also das Paket „Optimal Physio Fit“, das klingt vielversprechend. Zumal das Paket bereits in der Drei-Tage-Variante, was dem Mindest-Aufenthalt entspricht, gleich mehrere Massagen und nur eine Gym-Lehreinheit „Metabolic Boost“ im Tagesplan vorsieht.

Höchst zufrieden wandelt man also durch den „Garten der Kontemplation“ Richtung „Garten des Korans“ zurück in Zimmer 117, einen der besonders schönen Bungalows mit Meerblick. Dort hinten liegt irgendwo das Emirat Bahrein, das von hier aus näher ist als die katarische Metropole Doha. Und Thailand ist hier allgegenwärtig: Schließlich wird Zulal in Zusammenarbeit mit und von den thailändischen Experten des berühmten Chiva-Som Resorts betrieben. Hier soll die Expertise des Originals in asiatisch-ayurvedischen Anwendungen mit den Erkenntnissen von „TAIM“, der traditionellen arabisch-islamischen Medizin, verbunden werden.

Krip Rojanastien, der Sohn des Gründers und heutige CEO von Chiva-Som, berichtet per Video-Call: Msheireb Properties, der katarische Immobilienentwickler, habe eine Wellness-Destination schaffen wollen, um vor allem die Gesundheit der Einheimischen zu fördern. Übergewicht und Diabetes sind in Katar ein großes Problem. „Wir modernisieren die Erfahrungen aus dem reichen Erbe der arabisch-islamischen Heilkunde im Einklang mit der Erfahrung und dem Service-Anspruch von Chiva-Som.“ Ernährung, Bewegung und die Bedeutung von Ruhe und Zeit zur Erholung finden sich in beiden Lehren. Dass der arabische Raum bislang nicht für Wellness-Urlaube bekannt war, soll sich mit Zulal nun ändern, zumal die Reise nach Katar für europäische Gäste einige Flugstunden kürzer ist als der Weg ins originale Chiva-Som in Thailand. Auch die Zeitumstellung fällt nahezu weg.

Die moderne Gestaltung ist weit weniger ornamental und prunkvoll als sonst in diesem Teil der Welt üblich. Der Blick bleibt frei fürs Wesentliche. Den größten Wow-Effekt liefern die Mitarbeiter. Wenn auch bisweilen etwas verstörend mit ihrem unterwürfigen Sechs-Sterne-Plus-Serviceverständnis.

Der schönste Ort baut schlagartig ab, wenn die kulinarische Versorgung mangelhaft ist. Trotzdem gehört zum Erfolgsgeheimnis einiger weltberühmter Wellness-Tempel maximale Askese. Wer einmal auf Stufe null mit Basenbrühe und Tee einige Tage im „Lanserhof“ verbracht hat, weiß, was gemeint ist. Das kann man auch in Zulal so haben. Aber insgesamt gibt man sich deutlich hedonistischer. Indrajit Zaha, der Chefkoch der vier Restaurants, bereitet nach den Taim-Lehren kleine, gesunde, delikate Gerichte zu.

Er sagt: „Niemals würde ich etwas frittieren. Außerdem gibt es keinen Industriezucker und auch kein Gluten in meinen Küchen. Wir unterscheiden heiße und kalte Zutaten, so wie in der traditionell arabisch-islamischen Medizin zwischen heißen und kalten Temperamenten unterschieden wird. Quinoa zum Beispiel ist eine kalte Zutat, und Hühnerfleisch eine heiße.“ Zunächst registriert der erfahrene Wellness-Reisende aber erstaunt, von Eggs Benedict zum Frühstück hin zu Wagyu-Rind am Abend so ziemlich alles auf der Speisekarte zu finden, was nicht gerade nach Wellness-Cuisine klingt. Doch alle Gerichte sind leicht, und der Brennwert ist unter jeder Speise vermerkt.

 

Das Detox-Leben hier ist ein köstliches. Der Rücken, die Ernährung, die innere Ruhe danken. Nur eine Frage kann auch nach der Reise nicht beantwortet werden: Wie war es in Katar? Schließlich war man in Zulal.

Text
Alexander Stilcken