Vom Bregenzerwald aus hat Susanne Kaufmann mit ihrer Kosmetik die Welt erobert. Zeit, einmal an den Ursprung zu fahren.
Leben pflegen
Die knapp zweistündige Fahrt von Zürich vergeht wie im Flug. Erst am Bodensee vorbei, der in der Sonne glitzert, dann erscheinen sattgrüne Wiesen, Bauernhöfe und Dörfer. Spätestens bei der Einfahrt in Bezau ist die Hektik der Stadt vergessen. Das Hotel „Post“ im Ortskern strahlt etwas Beruhigendes aus, die dunkelgraue, schiefervertäfelte Fassade passt sich wunderbar der Umgebung an, und der Kastaniengarten neben dem Eingang spendet Schatten. Im Inneren trifft man auf viel Holz – altes und neues. Und auf Glas, das auch das Büro der Inhaberin von der Rezeption abtrennt. Es soll sagen: Ich bin immer ansprechbar. Susanne Kaufmann flitzt viel durch das Haus, das seit 1850 ihrer Familie gehört und in dem sie ihre Kindheit verbracht hat.
„Ich wollte mehr als nur Gesichtsbehandlungen anbieten. Die Idee des Holistischen war mir wichtig.“
Susanne Kaufmann, Inhaberin
Anfang 2019 hat sie, gemeinsam mit ihrer Hotelchefin Stephanie Rist, aufgeräumt, das Hotel quasi einer Detox-Kur unterzogen. Das neue Konzept trifft den Zeitgeist, nicht nur weil die beiden Frauen Nachhaltigkeit in allen Bereichen schaffen: Das fängt schon beim Wasser an, seit vergangenem Sommer gibt es nur noch „Null- Kilometer-Wasser“, also weder gehyptes Nass aus Hawaii noch von einem isländischen Gletscher. Es ist Bergwasser – direkt aus dem Hahn. Außerdem verzichtet die Küche auf exotische Früchte und Produkte, die nicht aus der Region stammen. Ihr Prinzip gilt: „From nose to tail“ und „Farm to table“.
Es ist ein Konzept, das hier gelebt wird: Vom kleinen Balkon schaut man auf das Feld vor dem Hotel, das mehrmals am Tag von zwei Jungbauern bestellt wird. Nicht mit großen Maschinen, sondern mit altertümlich wirkenden Geräten. Einige der 54 Zimmer und vier Suiten versprechen Wellness im Schlaf, heißt: Spezialmatratzen, und vor allem werden WLAN und Strom konsequenterweise nach 22 Uhr abgestellt. Für einen Großstädter eine zunächst ungewohnte Erfahrung. Aus den Tagungsräumen im Erdgeschoss wurde ein heller Yogaraum. Die bodentiefen Fenster lassen den Blick in die Berge wandern, der helle Boden aus Kerneschenholz liegt weich unter den nackten Füßen.
Ein Stockwerk tiefer kommt man zum Kernstück des Hotels, das Susanne Kaufmann 1994 von ihrer Mutter übernommen hat. Sie verstarb plötzlich und viel zu früh, die Tochter hatte ihre Ausbildung an der renommierten Hotelakademie in Glion zwar abgeschlossen, war aber auf eine Rückkehr nach Bezau noch nicht vorbereitet. Doch sie stellte sich der Verantwortung und erkannte früh den Stellenwert von Wellness für das 4-Sterne-Superior-Haus. Vater und Bruder, beide Architekten, unterstützten sie: Vor allem ihr Bruder Oskar Leo half 2003 beim Ausbau des Wellnessbereichs. Pur, weiß, freundlich. Die 20 Kabinen sind schlicht eingerichtet, im Wartebereich kann man die ganze Produktvielfalt, die mittlerweile gewachsen ist, betrachten. Dafür braucht es inzwischen mehrere Meter Regal.
Gemeinsam mit Ingo Metzler, einem befreundeten Landwirt aus der Region, der seit Anfang der 90er-Jahre bereits Kosmetik aus der Molke seiner Ziegen produzierte, entwickelte Kaufmann ihre Kräuterpflegelinie. Zuerst rührten sie die Cremes noch in Metzlers Garage an, es folgte eine kleine Produktion auf dem Nachbargrundstück, und weil die ebenfalls nicht mehr ausreichte, wurde 2017 wieder erweitert. Um die 35 Mitarbeiter arbeiten nun in dem holzverkleideten Bau, der zwischen Ziegenstall und Weide ruht. Hier werden ihre Produkte angerührt, abgefüllt, auch von Hand mit einem Label versehen und verpackt. „Made in Austria“ funktioniert, inzwischen verkauft sie ihre Linie in 22 Ländern.
„Als ich das Spa entwickelt habe, suchte ich nach etwas, was ihm mehr Tiefgang verleiht, etwas Eigenständiges. Ich wollte mehr als nur Gesichtsbehandlungen anbieten. Die Idee des Holistischen war mir wichtig“, sagt die jugendlich wirkende Chefin. Dafür testete sie einiges: Ayurveda schien ihr zu kompliziert, zufällig begegnete ihr die traditionelle chinesische Medizin, die seitdem Bestandteil ihrer Herangehensweise ist. „Für mich geht es ums Vorbeugen. Wir beginnen erst mit Sport, wenn wir schon Rückenschmerzen haben, da ist es schon fast zu spät. TCM passt hervorragend zu dieser Philosophie. Man geht nicht zum TCM-Arzt, wenn man krank, sondern wenn man gesund ist. Lebenspflege ist das Motto.“
Ihre beiden Kinder im Teenageralter seien allerdings nur bedingt an dem gesunden Lebensstil interessiert. Sohn Viktor würde sich am liebsten nur von Pizza, Spaghetti und Eis ernähren, gehe aber mindestens zweimal in der Woche mit seinem Vater zum Sport. Irma, die Tochter, die nach ihrer Urgroßmutter benannt wurde, ist da schon begeisterungsfähiger: „Sie interessiert sich für alles, was wir hier machen“, sagt Susanne Kaufmann. Ob Tochter Irma auch der Tradition folgt, dass die Frauen der Familie das Hotel führen, bleibt abzuwarten. „Schaun mir mal“, sagt Susanne Kaufmann und blickt in die Gipfel des Bregenzerwaldes wie in ein Orakel. Es wirkt gelassen.