Gelegentlich bleibt die Zeit stehen. Warum man darauf
am besten mit einem Scotch in der Schweiz anstößt,
fanden wir in Andermatt heraus.
KEINE EILE
Selbst von oben aus betrachtet, erscheint die Welt im schottischen Dufftown bodenständig. Zwischen regenbenetzten Wiesen stehen ehemalige Scheunen und Werkstätten, ein Teich spiegelt tiefhängende Schäfchenwolken. Nur der Schriftzug „The Balvenie Destillery“ auf einem der Dächer verrät, dass hier Hochwertiges entsteht. Hier lagern Whisky-gefüllte Zeitkapseln. Einige etwa zwölf Jahre, andere ein halbes Jahrhundert und länger. Dass am Ende dieser Zeitspanne ein Genuss steht, hat bei dem Familienunternehmen nichts mit Optimismus, sondern mit rund 130 Jahren Erfahrung zu tun.
Spezialisiert sind die Schotten auf Single-Malt-Whisky, dessen Grundlage neben Quellwasser ausschließlich gemälzte Gerste ist. Vom Anbau des Getreides, dem Mälzen und Destillieren bis zur Lagerung wird dieser Prozess in seiner Gesamtheit in Schottland nur noch bei The Balvenie traditionell betrieben. Kürzlich feierte Malt Master David C. Stewart MBE sein 50-jähriges Dienstjubiläum mit dem „The Balvenie Fifty: Marriage 0614“. Eine so kostbare Kreation, dass eine Flasche inzwischen fast 40.000 Euro kostet. Der virtuelle Rundgang durch die hauseigene Destillerie offenbart dennoch keine vergoldeten Treppengeländer, sondern einen Ort, an dem man von Hand einen Whisky kreiert, dessen Preis sich in höchster Destilleriekunst begründet. „Es ist ein Glück, dass die Qualität schon in den 60er-Jahren so gut war – vom Whisky bis zu den Fässern“, sagt David Stewart. Der passende Rahmen für den Ausschank des Jubiläums-Whiskys konnte also nur ein Ort sein, an dem man ebenso viel Wert auf handwerkliches Können legt. Man fand ihn – nun gefolgt vom Mandarine Oriental in München – zunächst in der Schweiz im Hotel „The Chedi Andermatt“.
Wenn ein Haus vor allem aus Licht, Holz und Granit zu bestehen scheint, ohne zu blenden oder einzuengen, ist das eine beachtliche gestalterische Leistung. Wenn es sich dabei auch noch um ein Hotel handelt, kommt dies einer Einladung gleich. Vor den Toren des Chedis regiert der Herbst. Zwischen schneegepuderten Bergen schichtet sich Wolkendecke auf Nebelfelder, die vereinzelt Weiden mit klingelnden Kühen in Sprühregen hüllen. Im Hotel bleibt dies ob unzähliger bodentiefer Fenster verborgen. Wo immer möglich, ersetzen Lamellenkonstruktionen aus Holz massive Wände und Türen, lassen Tageslicht hinein und halten Ungemütlichkeit draußen.
„Chedi“ bedeutet „Tempel“ auf Thailändisch. Ruhig geht es zu. Begehrt ist ein Platz auf dem Ledersofa neben der Bar, das sich um einen frei stehenden Kamin herumwindet. Er ist einer von 206 Kaminen des Hotels, die den inneren Zappelkasper zur Ruhe bringen.
Gereicht wird heute ein Whisky-Cocktail auf einer Teebasis mit Kokosmilchschaum. Er setzt den Ton für die kommenden drei Tage, die einer besonderen Kollaboration mit The Balvenie gewidmet sind (über thechediandermatt.com). Neben einem Dinner im vom „Guide Michelin“ und „Gault&Millau“ ausgezeichneten „The Japanese“, bringt ein Whisky-Tea-Pairing zusammen, was erst einmal exotisch erscheint und doch, im Wechsel genippt, erstaunlich funktioniert.
Draußen steht, vom Vordach geschützt, ein Morgan-Oldtimer bereit für eine Spritztour vor dem ersten Drink. Die Verkostung des „Balvenie Fifty“ bildet das Highlight der dreitägigen Experience. Von programmgetriebener Rastlosigkeit kann aber keine Rede sein, schon der Cocktail muss seines Alkoholgehalts wegen in langsamen Zügen genossen werden und bestätigt so eine der wichtigsten Whisky-Regeln: Genuss braucht Zeit. Davon scheint es hier reichlich zu geben. Vielleicht ein Grund, warum sich die Schotten ausgerechnet in dem Schweizer Hotel so wohlfühlen, wo die Zeit gefühlt nur draußen vergeht.
Wer es nicht besser wüsste, könnte glauben, das gesamte „Chedi“ werde Winkel für Winkel von warmem Kerzenschein erhellt – so geschickt ist die Beleuchtung gesetzt. Am Abend weist sie den Weg zum „The Restaurant“. Das Fünf-Gänge-Menü stellt Geschmack und Trinkfestigkeit des Whisky-Fans auf die Probe. Zu jedem Gang wird eine andere Kreation aus dem Hause The Balvenie serviert – unter anderem der zwölf Jahre alte „Double Wood“. Mit ihm legte David Stewart 1983 den Grundstein für ein völlig neues Veredelungsverfahren. Nachdem der Whisky in amerikanischen Bourbon-Fässern gereift ist, zieht er zur Nachreifung einige Monate in ein spanisches Sherry-Fass um, das ihm in diesem Fall Noten süßer Früchte gibt.
Der Erfolg dieses Experiments ermutigte den Malt Master, und es entstanden sogenannte Finishings auch in Madeira-, Brandy- oder Port-Fässern. Letztere Variante sollte die bis heute persönliche Lieblingskreation Stewarts werden – „aber nur zu besonderen Anlässen“. Inzwischen hat sich das Verfahren in der Branche etabliert. Das große Talent blieb auch dem Königshaus nicht verborgen. Die Queen verlieh David Stewart 2016 den Titel MBE und machte ihn damit zum Mitglied der Order of the British Empire. Ein Moment, von dem der bescheidene 76-Jährige nur auf Nachfrage erzählt.
Die Kreation des „Balvenie Fifty“, der im „Chedi“ aus einer Vitrine in der Gemstock-Suit serviert wird, markiert einen weiteren Höhepunkt seines Schaffens und gleichzeitig einen Übergang. Der Zusatz „Marriage 0614“ steht für den Arbeitsbeginn seiner zukünftigen Nachfolgerin Kelsey McKechnie im Juni 2014. Nur vier Jahre später stieg sie im Alter von 26 Jahren zur Kellermeisterin auf und gehörte damit zu den Jüngsten ihrer Zunft weltweit. „Beim Geruchstraining zeigte sich, dass Frauen häufig besser darin sind, Aromen zu identifizieren“, sagt David Stewart.
Es lohnt aber für Frauen und Männer gleichermaßen, das leere Glas des „Balvenie Fifty“ über Nacht stehen zu lassen und am nächsten Morgen eine überraschend intensive Nase Sultanine, Gewürze, dunkle Schokolade sowie etwas Ahornsirup zu nehmen. Das Wetter draußen zeigt sich launisch, bietet so aber auch Optionen: Etwa in einer Regenpause den Furka-Pass mit dem Morgan hinaufzubrausen oder ein paar Bahnen im 35 Meter langen Pool des Spas mit Blick nach draußen zu ziehen. Völlig verständlich wäre es jedoch auch, einfach das leere Glas in der Hand zu schwenken, gelegentlich tief einzuatmen und die Aromen der letzten Tage Revue passieren zu lassen.