Paris Fashion Week

Es war eine der spannendsten Fragen der diesjährigen Pariser Fashion Week: Wie rückt Demna sein Krönchen wieder zurecht?

Die Antwort: mit Rückbesinnung auf die Wurzeln der Schneiderkunst. Mit Demut. Balenciaga-Shows waren zuvor die Superspektakel der Fashion Week, Blockbuster-Events mit einstürzenden Himmeln, künstlichen Schneestürmen oder dystopischen Matsch-Landschaften. Nichts davon dieses Mal: Die endgültige Adresse der Location erreichte die Gäste erst spät am Vorabend der Show. Hatte man tatsächlich Angst vor wütenden Protesten? Balenciaga zeigte wieder dort, wo in den 90er-Jahren noch so gut wie alle Shows der Pariser Fashion Week über die Bühne gingen, in den unterirdischen Sälen im Carrousel du Louvre, gut abgeschirmt von den Massen an Schaulustigen und Streetstyle-Fotografen. Ein klassischer Catwalk ganz in Weiß, Stuhlreihen zu jeder Seite. Back to the roots.

Seine Muse Kim Kardashian war ebenso abwesend wie die sonst üblichen Super-VIPs. In der Front Row: außer Anna Wintour kaum bekannte Gesichter. Viele schräge Fashion-Vögel, manche mit blauem Make-up und gelben Irokesen-Kämmen – eine Mischung aus den Schlümpfen und  Simpsons in Bondage-Kettenlooks.

Auf den Stühlen lag ein weißer Karton mit Demnas Shownotizen, darauf gab er sich geläutert und verkündete sein neues Reinheitsgebot: „Mode ist zu einer Art Unterhaltung geworden, aber oft überschattet dieser Teil das Wesentliche: Mode, das sind Formen und Volumen, Silhouetten. Die Art und Weise, wie wir Beziehungen zwischen Körper und Stoff herstellen, wie wir Schulterlinien und Armausschnitte gestalten und wie Kleidung die Fähigkeit hat, uns zu verändern.“

Balenciaga
Balenciaga
Balenciaga
Balenciaga

Den Auftakt der Winterkollektion 2023 bildeten konsequent Variationen von schwarzen, zweireihigen Herrenanzügen, mit Betonung auf das Schneiderhandwerk, auf textile Architektur und dekonstruktivistische Elementen. Hosenbünde fanden sich kopfüber an den Säumen von weit fallenden Zwittern aus Hose und Rock.

Schräge Buckel-Silhouetten auf Hoodies, weite Motorradstiefel und hochgerutschte Schultern bei den Männer-Looks wechselten sich ab mit eleganten Abendroben, aus zarter Spitze, romantischen Blumenprints auf Plissee oder ganz monochrom in Grau oder Schwarz kunstvoll drapiert. Weniger Spektakel, weniger Provokation, sondern eine tiefe Verbeugung vor dem Erbe von Cristóbal Balenciaga.

Demna, Balenciagas hyperkreativer Kronprinz, der viele Saisons den Spitzenplatz der heißesten Modelabels der Welt laut Lyst Index einnahm, war Ende letzten Jahres diverse Male gestolpert: Erst über seine Nähe zum biopolaren und nun als rassistisch und antisemitisch geltenden Rapper und Fashion Mogul Ye alias Kanye West, dann über eine höchst umstrittene Werbekampagne mit BDSM-Teddybären und Requisiten mit Gerichtsurteilen gegen verurteilte Pädophile. Prosteste und Vandalismus in Geschäften, ein Shitstorm in den Sozialen Medien und empfindliche Umsatzeinbrüche beim Mutterkonzern Kering waren die Folge.

Nach dem letzten Look: Kein finaler Schaulauf und kein Auftritt des Kreativdirektors. Demna blieb unsichtbar. Seine Lehre aus den jüngsten Skandalen scheint nun zu heißen: Fashion first.

Text
Silke Bender