Was wir anziehen, sagt viel über uns aus – diese Wahrheit vergisst man leicht im Homeoffice. Wie gut, dass die Bundeskunsthalle dem Thema jetzt eine Ausstellung widmet.
Sprechende Hose

Geplant war der 20. Mai. Eva Kraus wußte schon vorher, was sie anziehen wollte: Ein Kleid von Issey Miyake, vor Jahren in Japan erstanden und noch nie getragen, „dabei ist es herrlich!“. Es besteht aus einer großen flachen Origami-Rosette, die, aufgefaltet und getragen, eine komplexe Silhouette hervorbringt. Man muss nicht wissen, dass das Modell aus der Kollektion „132 5“ stammt, die der japanische Designer mit einem Informatiker entwickelte und – schon 2010 – mit Textilien aus PET-Flaschen realisierte. Aber man wird sofort erkennen, dass es Mode und Kunst zugleich ist, und auch, dass die Trägerin zu beidem eine ebenso leidenschaftliche wie intellektuelle Beziehung hat, solche Kleidung trotzdem vielleicht nicht täglich anzieht – und ihre Wahl gerade deshalb ein Statement ist.

Dr. Eva Kraus ist Kunsthistorikerin und Kulturmanagerin, sie hat in New York, Wien und ihrer Heimatstadt München gearbeitet, sechs Jahre das Museum „Die Neue Sammlung“ in Nürnberg geleitet und ist seit August 2020 Intendantin der Bundeskunsthalle in Bonn.
Jemanden wie sie würde man eigentlich nicht zuerst nach seinem Outfit fragen. Aber sie lacht, ruft, „aaah, ja!“„ und antwortet sofort.
Nicht nur, weil sie die Frage von ihren Heuschnupfenattacken und dem coronabedingten Stress ablenkt, der auch ihr Haus umtost. Sondern weil sie mitten in die Ausstellung führt, mit der sie jetzt so etwas wie ihr offizielles Debüt an der Bundeskunsthalle gibt. „Dress Code. Das Spiel mit der Mode“ heißt die Schau. Eva Kraus hat sie aus Japan geholt, wo sie vom renommierten Kyoto Costume Institute und dem Museum of Modern Art in Kyoto kuratiert wurde, und sie für Bonn um ein eigenes, interaktives „Fashion Lab“ erweitert. Das sagt nicht nur einiges aus über ihre Netzwerker-Qualitäten, sondern auch über ihren inhaltlichen Ansatz, der interdisziplinär ist und Kultur vor allem in gesellschaftlichen Zusammenhängen sieht.
Die Schau widmet sich nicht einem einzelnen Designer oder einer Marke, sondern dem Umgang mit Kleidung überhaupt.

Oliver Sieber
Character Thieves, Hauro/Howl (Straße), Leverkusen 2006
Pigment-Print
© Oliver Sieber
Ihr liegt der Gedanke zugrunde, dass wir durch unser Outfit mit unserem Umfeld kommunizieren. Sie arbeitet die Codes heraus, die wir dafür, bewusst oder unbewusst, verwenden, und zeigt, wie durch deren Variation, Umwidmung und Durchkreuzung „die Modegeschichte der Moderne“ entsteht, wie das die Kulturwissenschaftlern Barbara Vinken im Katalog nennt. Das klingt irgendwie bekannt und etwas verkopft. Die Ausstellung macht daraus wirklich ein „Spiel der Mode“, wie es der Untertitel verspricht mit gut 100 Streetwear- Outfits großer Designer von Armani und Burberry über Gaultier, und Gucci bis zu Margiela, Moschino oder Yohji Yamamoto, Accessories und unzähligen Fotos. Strukturiert in 12 Kapitel (die assoziative Fragen stellen wie „Muss man den Anstand wahren?“ oder „Kann jeder modisch sein?“) veranschaulichen sie die Magie von Logos, die Aufladung von Mode durch Kunst (zu sehen sind u.a. Taschen der „Masters“ Kollektion von Louis Vuitton, die Jeff Koons mit Gemäldemotiven aus dem Louvre versah) und zeigen jene Archetypen, die das Basisvokabular der Codes bilden – z. B. Jeans, Bikerjacke, Trench oder Herrenanzug.


Deren Metamorphosen in den vergangenen Jahrzehnten werden durch Defilees dicht gedrängter Kleiderpuppen inszeniert: Der Herrenanzug etwa bekam von Paul Smith einen hellblauen, über und über mit roten Blumen bedruckten Baumwollstoff verpasst, Helmut Lang versah den Hosen mit Baumwollbändern, welche die herunter gelassenen Hosenträger der Punks zitieren. Rei Kawakubo tauschte bei Comme de Garcons die Hose gegen einen Rock, und das Jackett-Revers bei Victor & Rolf wurde mit farbigen, gestaffelten Hemdkragen zu einem üppigen Dekolletee aufgeblasen – beides lange bevor „Genderless Fashion“ ein Thema und Sänger Harry Styles auf dem Cover der englischen „Vogue“ zu sehen war, als erster Mann und im Abendkleid. Als Uniform im Büro, mit der man dazugehört ohne aufzufallen, taugen solche Anzüge nicht mehr.
Genauso wenig, wie die Bikerjacke noch ein Ausdruck von Rebellion ist oder das Schottenkaro, das bei schottischen Clans einst Zeichen der Unabhängigkeit war und dank Vivienne Westwood zu einem Schlüsselelement der Punk-Szene wurde. Wie Jeans, Camouflage-Muster oder Trenchcoat sind sie längst Bestandteile unserer Alltagsgarderobe.

Undercover / Jun Takahashi,
Jacket, Sweater, Skirt, Trousers, Scarf, Belt, Bag, Gloves, and Boots,
Autumn/Winter 2001
©UNDERCOVER
Die Codes sind ausdifferenzierter und schwieriger greifbar geworden. Sie verändern sich auch schneller, seit fast jeder sich und sein Outfit täglich auf Instagram oder TikTok postet. Wichtig ist nicht so sehr, welche Kleidungsstücke man trägt, sondern wie man sie kombiniert, je ungewöhnlicher und unkonventioneller, um so besser. Wobei das Zufällige, das sich scheinbar jeder Zuordnung entzieht, derzeit am besten von Alessandro Michele bei Gucci inszeniert wird: Der nächste Dresscode ist so längst etabliert.
Das alles aber kommt nicht kulturpessimistisch, sondern gut gelaunt herüber.

Oliver Sieber
J_Subs, Osaka, 2006
C-Type Print, printed in 2007, Ed. #2/8
© Oliver Sieber
Mode ist eben ein Spiel, kein Stress – und sie bietet die Möglichkeit, „täglich eine neue Rolle anzunehmen“, sagt Eva Kraus.
„Jede Kultur, Gesellschaft und Gruppe hat ihre eigenen Codes. Sie geben den Rahmen vor, aber die Ausgestaltung bestimmt jeder ganz individuell.“ Die allmorgendliche he Auswahl des Outfits, „dieses sich Sammeln, Überlegen, ‚wie möchte ich gesehen werden?‘, ‚Wie präsentierte ich mich?‘ – das ist ein ganz grundlegender kreativer Akt“, findet sie. In Japan, wo die Ausstellung ein Riesenerfolg war, verkleiden sich Tausende regelmäßig als Manga- oder Computerspiel-Charaktere und schlüpfen in deren Identitäten, „Cosplay“ ist dort so etwas wie eine Kulturtechnik. In NRW haben sie den Karneval. Sie werden „Dresscode“ lieben.


Collection of The Kyoto Costume Institute,
photo by Takashi Hatakeyama



Spring/Summer 2002
Collection of The KyotoCostume Institute, photo by Takashi Hatakeyama







Collection of The Kyoto Costume Institute,
photo by Takashi Hatakeyama

Dress, Spring/Summer 1986
Collection of The Kyoto Costume Institute,photo by Takashi Hatakeyama, gift of Ms. Akemi So


Day Ensemble, Autumn/Winter 1990 Collection of The Kyoto Costume Institute,photo by Takashi Hatakeyama

“Miss No. 5”, Autumn/Winter 2017 Collection of The Kyoto Costume Institute,photo by Takashi Hatakeyama

Dress, Spring/Summer 2018
Collection of The Kyoto Costume Institute,photo by Takashi Hatakeyama

Dress and Pumps, Spring/Summer 2017 Collection of The Kyoto Costume Institute, gift of MOSCHINO S.p.A.,photo by Takashi Hatakeyama
Looks aus der Ausstellung „Dress Code. Das Spiel mit der Mode“ – voraussichtlich ab 20.Mai in der Bundeskunsthalle zu besuchen