Ist der Anzug noch modern? Das kommt ganz auf den Anzug an – und den Mann, der ihn trägt. Der Schauspieler August Wittgenstein hat sich von Brioni einen Zweiteiler nach Maß machen lassen. Er ist jetzt genauso überzeugt wie wir. Wir begleiteten ihn mit der Kamera.
Einer für immer








Kennenlernen in Franfurt – Wittgenstein bespricht mit Angelo Petrucci den Stoff und Schlüpft zum Maßnehmen in einen Probeanzug. Dann folgte die Anprobe in Berlin – der Zweiteiler ist lose zusammengenäht, Petrucci markiert jedes zu korrigierende Detail mit Schneiderkreide.
Am Anfang war das Understatement. Der Satz mag etwas hochgegriffen sein, aber wenn es um das moderne Kleidungsstück für Männer überhaupt geht, ist er einfach nur wahr: Mit dem einfarbigen Anzug nahm das Bürgertum dem Adel im 19. Jahrhundert die Macht, durch seinen Prunk zu zeigen, was auf diesem Planeten schön sein soll. Und August Wittgenstein demonstriert an diesem Abend in Frankfurt, wie sehr er dieses Prinzip verinnerlicht hat: Als ihn jemand in seiner Gesprächsrunde „Deutschlands besten Schauspieler“ nennt, huscht ein mikrofaserfeines Lächeln über sein Gesicht.
Es sagt: Das Kompliment freut mich, aber hoffentlich erwartet jetzt niemand, dass ich es ernst nehme. Kurz darauf erzählt Wittgenstein (in diesem Jahr unter anderem in einer Hauptrolle in der ARD-Serie „Höllgrund“ zu sehen und im Kinofilm „Jagdsaison“) davon, wie es ist, lange Zeit Bösewichte zu verkörpern – und als ein Zuhörer im neuen Brioni-Store wissen will, wann man ihn wieder freundlicher erleben könne, antwortet der Darsteller: „Nun mal langsam, erst einmal muss ich noch ein paar Leute umbringen.“ Selbstredend erntet er dafür Gelächter. Ob er die Pointe geplant hatte, oder sie spontan kam, eins steht nun endgültig fest: Dieser Mann passt zu 100 Prozent zur Grundidee des Anzugs.
Es ist etwas ruhiger geworden um diesen Begleiter durch den Alltag. Es bröckelte schon vor dem erzwungenen Umzug ins Homeoffice. Unternehmer wie der Apple-Chef Steve Jobs hatten es zum Trend gemacht, durch Jeans und T-Shirt auszudrücken: Formale Garderobe stört mich dabei, kreativ zu sein. Mit der Arbeit zu Hause entfiel ein weiterer Grund, im Anzug unterwegs zu sein.
Aber gerade, weil die Menschen danach lechzen, sich endlich wieder vor der Tür zu begegnen, ist das Stück nach wie vor aktuell. Und wenn es nach Maß und von Hand gefertigt wird, unterstreicht nichts die Individualität so sehr wie etwas, das tatsächlich für eine einzige Person gemacht ist. August Wittgenstein weiß das, in seinem Beruf sind Kostümproben ein ganz entscheidender Moment, in dem ein Mime etwas über seine Figur lernt, wer sie ist, wie sie wirken soll.
Video Matteo di Pippo
Und weil Wittgenstein es wirklich wertschätzen kann, kam die Idee auf, ihn dabei zu begleiten, wie er einen Anzug fürs Leben bekommt. Den ersten maßgeschneiderten, zur Konfirmation war es noch der vom älteren Bruder, recht brettig. Wobei Wittgenstein auch bisher in Stilfragen sicher auftritt.
„Ich trage sehr gern Anzüge, finde, man muss den Anlässen und den Gastgebern gerecht werden.“
Bei der Wahl des Ausstatters für das besondere Stück gab es wenig zu diskutieren. Die Römer von Brioni verbinden seit Jahrzehnten die Vorzüge von Maßkleidung mit einem Know-how und einer Logistik in ihrer Manufaktur in Penne, dass selbst notorisch neidische Kollegen zugeben: Die Sauberkeit und Präzision, mit der die Italiener zu Werke gehen, ist eigentlich nicht zu übertreffen. Hier gibt es neben langer Erfahrung für jeden der 220 Arbeitsschritte einen Spezialisten, vom Zuschnitt bis zum handgenähten Knopfloch. Dreimal muss der Schauspieler, der spätestens seit seiner Rolle als schwuler Staatsanwalt in der „Ku’damm“-Reihe ein fester Begriff ist, für seinen Zweiteiler bei den Italienern vorstellig werden: Vermessen und Stoffauswahl, Anprobe zur Korrektur, Abholung. Der erste Termin findet in Frankfurt statt, wo das Haus ein neues Konzept aus der Taufe gehoben hat: Statt in erster Linie Kleidung von der Stange auf den Kundenkörper anzupassen, geht es zu wie in einem Atelier. Kunden können nach Verabredung im ersten Stock eines Gebäudes in der Innenstadt in aller Ruhe ihre Wünsche mit einem Schneider besprechen.
Zum Kick-off kommt August Wittgenstein abends für eine Gesprächsrunde her, am Morgen danach taucht er in beiger Baumwollhose, braunem Hemd und weißen Sneakers auf. Zugegen sind auch der Chefdesigner Norbert Stumpfl, ein leiser Österreicher, der das Label nach einigen Irrungen wieder auf den Kurs bedingungsloser Qualität eingeschworen hat, und vor allem Angelo Petrucci, der Chefschneider des Hauses.
Man sagt nicht zu viel, wenn man ihn als eine Legende der Szene bezeichnet. Seit knapp 40 Jahren gehört er zum Unternehmen, er hat Pierce Brosnan und Daniel Craig für ihre Rollen als 007 beschneidert und sich auch schon von einem ehedem sehr mächtigen Mann in den USA seinen Job erklären lassen. Fragt man, wen er besonders gern zum Kunden hatte, antwortet er mit „Jack Nicholson“, gerade so, als ob rein gar nichts dabei wäre. In Frankfurt trägt er einen dunkelblauen Zweiteiler, der signalisiert, wohin die Reise geht: Obwohl Brioni seit seiner Gründung 1945 immer wieder durch modischen Mut aufgefallen ist, geht es stets um die Verbindung von britischer Nüchternheit und italienischer Geschmeidigkeit. Beim Finale in Mailand wird der Maestro „in Jeans“ kommen – zum ersten Mal trägt er maßgearbeitete Denimware.







Großer Tag in Mailand: Zur letzten Anprobe im Store in der Via Gesù hat der Anzug noch das Gerüst aus weißen Baumwollf äden, das ihm während der Fertigung Struktur verleiht. Angelo Petrucci geht erneut jedes Detail von der Schulter bis zum Hosenbein durch, was ihm nicht gefällt, ändern Schneider umgehend in der Werkstatt vor Ort.
August Wittgenstein tritt leise auf, der erste Maßanzug ist auch für ihn eine große Sache. Petrucci stellt sich mit ihm an einen großen Tisch mit Tageslicht – wichtig bei der Farbwahl – und lässt die Augen an Wittgenstein auf und abgleiten, ohne dass der es merkt. Ungeübte Kunden stehen beim Messen oft stramm wie ein preußischer Feldwebel, eine unnatürliche Haltung. Also ist es besser, den Klienten schon vorab in Bewegung zu studieren.
Bei der Stoffauswahl lenkt Petrucci seinen Kunden beiläufig in eine bestimmte Richtung: Ein Anzug fürs Leben sollte nicht zu leicht und zu flamboyant sein, ein dunkelgrauer oder marineblauer Stoff passt immer und ist zudem robust genug für den Dauergebrauch. Nach einigem Befühlen willigt Wittgenstein in ein nachtblaues Tuch ein. Was folgt, ist ein Schauspiel, für das man Eintritt verlangen könnte. Petrucci lässt seinen Klienten in einen Probeanzug schlüpfen, den er Millimeter für Millimeter abtastet. Was er sieht und erfühlt, trägt er auf ein Blatt ein, sodass er beim Zuschnitt die Schablonen aus Pappe Wittgensteins Körper gemäß abändern kann. Petruccis Bewegungsabläufe erinnern an einen Tänzer, Wittgenstein schweigt und lächelt – und das Beste ist:
Der Schneider müsste das alles gar nicht tun. Er hat schon Kunden mit perfekt sitzender Kleidung ausgestattet, die er nur mit den Augen vermessen hatte.
Zum Schluss fühlt Wittgenstein sich sichtlich wohl, er plaudert freigiebig über sein Stil-Vorbild Sean Connery. Petrucci wird die Maße nach Penne mitnehmen, dort den Stoff zuschneiden, per Hand ein Innenleben aus Baumwolle und Steifleinen einarbeiten lassen und den Anzug lose zusammengenäht mit einem Gerüst aus weißen Baumwollfäden zur ersten Anprobe in Berlin wieder mitbringen. Weil sein Unternehmen dort keine Dependance hat, findet das Fitting in einer Privatwohnung statt, dem „Loft“ von Alexandra von Rehlingen. Wittgenstein ist gespannt, Petrucci entspannt, beider Freundlichkeit ist so angenehm wie Kaschmir. Dann geht es erneut vor den Spiegel.

Diesmal arbeitet sich der Schneider mit seinen Augen und Händen durch eine Checkliste, die bei den Schultern beginnt und am Hosenbein endet. So gut wie alles kann er noch verändern, sitzt etwas nicht, greift er zur Schneiderkreide und macht Markierungen auf dem Stoff: Hier muss etwas weg, dort muss etwas hin. Ein System, das dem Kunden auch nach dem Kauf zugutekommt, Maßanzüge verfügen über Stoffreserven, die herausgelassen werden können, sollte der Appetit des Klienten allzu ausgeprägt sein.
Zu Hause in Penne wird Wittgensteins gutes Stück dann noch einmal auseinandergenommen, nachgeschnitten fest zusammengenäht und in Form gebügelt. Das passiert bei Brioni von Hand – bei durchschnittlicher Konfektionsware geht es in die maschinelle Presse. Zum Finale trifft man sich in Mailand, in einem eleganten Raum hinter den Verkaufsflächen im Haupthaus in der Via Gesù, dem Zentrum der nonchalanten Eleganz. Wittgenstein bleibt lässig – und auch höflich, als der Hair-&-Makeup-Spezialist gar nicht aufhören mag mit dem Styling für die Fotos von Thomas Meyer, der auch dieses Mal wieder dabei ist. Nicht, dass da viel Hand angelegt werden müsste, aber Perfektion scheint hier ansteckend. Wittgenstein ist beseelt von Petruccis Arbeit, der beantwortet freigiebig die vielen Fragen zu seinem Metier. Der neue Kunde hat Jeans und Wetterjacke (es ist sonnig eiskalt in Mailand) abgelegt, zieht Hose und Jackett über und sein Gesichtsausdruck verklärt sich auf eine Weise, wie es kein Schauspieler nur mimen könnte. Wie fühlt er sich?
August Wittgenstein Massanzug Interview Schneider Brioni
„Ich bin gerade erst reingeschlüpft, aber ich glaube schon jetzt: Das Ding trägt meinen Namen.“
Allerdings hat er die Rechnung ohne Angelo Petrucci gemacht: Nur, weil etwas seinem Kunden gefällt, heißt das noch lange nicht, dass er zufrieden wäre. Und so bittet er Wittgenstein, entspannt vor dem Spiegel zu stehen, fährt die Schulterlinie und die Taillierung nach, tastet den Rücken ab, bittet seinen Kunden, die Arme seitwärts abzustrecken, falls sich die Schulterlinie verziehen sollte, der Ärmel nicht im My stimmen. „Ist er vielleicht etwas zu kurz?“, fragt Wittgenstein, der sehr lange Arme hat.
Nur mit dem kurzärmeligen Shirt darunter könnte man tatsächlich meinen, da fehlt etwas. Doch der Schneider erklärt detailliert, warum die Länge so perfekt ist, mit und ohne Manschetten darunter. Im Leben würde man nicht widersprechen. August Wittgenstein lächelt und schiebt seine Uhr zurecht. Im Atelier vor Ort werden die kleinen Varianten prompt verbessert, erst dann ist auch Angelo Petrucci mit dem Sitz und der Balance des Teils einverstanden.
Man kann davon ausgehen, dass August Wittgenstein am Abend in der Scala, für die seine Schwester Anna Karten organisiert hatte, nicht nur von der Musik beglückt war. Auf die Frage, wie es nun so ist mit dem guten Stück, hatte er beim Verlassen des Geschäfts noch gesagt:
„Es ist grandios! Pierce Brosnan hat als 007 auch seine Anzüge hier machen lassen.“ Ist das als Bewerbung zu verstehen? Wittgenstein lacht. „Ich wäre zu haben.“
