David Thulstrup verbindet in seinen Entwürfen skandinavischen Purismus mit seiner Liebe zu starken, natürlichen Materialien. Wir trafen den dänischen Architekten auf Sylt.
RAUM SCHAFFEN
Stolze Hanseaten müssen an dieser Stelle stark sein: Gibt es doch tatsächlich Sylter, die für Städtetrips lieber gen Kopenhagen aufbrechen statt nach Hamburg. Schließlich ist die Fahrtzeit identisch, die nordische Lebensart dort drüben in Dänemark dann aber doch ganz anders. Das Kopenhagener Stilempfinden prägt nicht ohne Grund den Weltgeschmack. Dafür zu guten Teilen mitverantwortlich ist David Thulstrup. Der Architekt und Interior Designer hat das „Noma“ gestaltet, das wohl berühmteste Gourmet-Restaurant der Welt. Früher hat er für und mit Peter Marino und Jean Nouvel gearbeitet, heute gestaltet er mit seinem Team Häuser, Restaurants und Geschäfte auf der ganzen Welt – von San Francisco bis Kampen. Genau deshalb sitzt er an diesem sonnigen Mai-Nachmittag auch auf der Terrasse des Dorfkrugs und erzählt von seiner Arbeit.
David Thulstrup, Ihr Studio ist eine Marke für sich. Wie haben Social Media und Co. Ihren Beruf verändert?
Ich habe mich vor gut 14 Jahren selbstständig gemacht und bin tatsächlich früh auf die Instagram-Welle gesprungen. Anfangs hatte ich viele kleine Projekte und habe fast wöchentlich Moodboards der verwendeten Materialien gepostet. Dafür gab es viel positives Feedback. Heute zeige ich dort zwar noch Projekte, nutze es aber viel weniger als früher. Denn es war nie mein Ziel, eine Marke zu sein. Ich bin einfach nur ich – grundsätzlich sehr demütig und entspannt. Ich habe aber schon früh für mich entschieden, immer mein Bestes zu geben. Ich mache darum keine Kompromisse. Glücklicherweise haben einige Kunden an meine Ideen geglaubt und mir vertraut. Dass ich heute wie eine Marke gesehen werde, ist ein Geschenk, denn die Aufmerksamkeit ermöglicht Wachstum. 95 Prozent meiner Projekte sind im Ausland, Dänemark ist für mich einfach ein zu kleiner Markt, darum muss ich raus, und das passiert durch Gespräche, aber auch durch Presse und Social Media. Auf einen Empfang in Kopenhagen für die Akquise zu gehen reicht nicht mehr.
Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?
Meine Mutter war Krankenschwester und mein Vater Arzt, ich bin in diesen Bereich also nicht hineingeboren. Schon als Kind habe ich aber Räume „gelesen“ und meine Augen und meine Sensibilität genutzt. Ich bin sehr einfühlsam, jeder Ort hat etwas in mir ausgelöst, und diese Sensibilität und Vorstellungskraft hat mich in diesen Beruf geführt.
Dänisches Design ist weltweit populär. Wie erklären Sie das?
Wir werden in Dänemark mit einem extrem sozialdemokratischen Selbstverständnis erzogen. Wir wollen nichts erschaffen und auch in nichts leben, was allzu sichtbar ist. „Sichtbar“ meine ich im Sinne von zu viel oder gar verschreckend. Design soll grundsätzlich für jeden sein, und wir sind bei der Materialauswahl sehr nachhaltig. Wir mögen echte, ehrliche und natürliche Materialien. Und dann ist da natürlich auch der stilistische Ansatz, der die Einfachheit feiert und von lutherischer Zurückhaltung geprägt ist. Wenn man diese Grundideen mag, dann ist die dänische Designtradition genau das Richtige.
Zumal es den Vorteil hat, nahezu zeitlos zu sein …
Absolut, wobei ich früher häufig gehört habe: „Ein weißer Raum ist typisch für skandinavisches Design!“ Dabei ist das doch nur Minimalismus. Ich selbst bin zum Beispiel im kompletten Gegenteil aufgewachsen, in einem Haus mit dunklen Holzwänden, einer schwarzen Küche und Steinböden. Diese andere Seite der skandinavischen Kultur versuche ich in meine Architektur einzubinden und schlichte Architektur mit starken Materialien und Texturen zu schaffen. Das prägt meinen persönlichen Stil. Ich mache zum Beispiel nur selten Furnierverkleidungen und verwende stattdessen lieber solide Holzplanken.
Inzwischen gestalten Sie Möbel und Küchen, arbeiten als Interior Designer und Architekt. Was bereitet Ihnen am meisten Freude?
Ich habe einen holistischen Ansatz und versuche, alle meine über die Jahre gewonnenen Kompetenzen zu verbinden. Ich habe einst als Assistent eines Interior Stylisten begonnen, bin dann Interior Designer und schließlich Architekt geworden. Aktuell machen mir darum Wohnprojekte am meisten Freude, bei denen ich all diese Erfahrungen einbringen kann, die Gestaltung des Gebäudes also ebenso wie die Stimmung darin. Der nächste Schritt für mich wäre die Gestaltung kleiner Hotels, das würde mich wahnsinnig reizen. Außerdem liebe ich es, Restaurants zu machen, weil es mir immer um den sozialen Aspekt eines Raumes geht. Ich will Räume schaffen, die willkommen heißen, an denen man gern zusammenkommt.
Wie nähern Sie sich neuen Projekten?
Zunächst einmal durch Gespräche, durch eine persönliche Verbindung. Ich muss meine Auftraggeber und ihre Wünsche genau verstehen, und ehrlich gesagt: Wir müssen uns auch verstehen. Das Leben ist zu kurz, um es mit Menschen zu verbringen, die man nicht mag. (lacht) Neben dem Austausch mit den Auftraggebern sind für mich aber auch der Ort, an dem ein Projekt entstehen soll, und dessen Umgebung ganz wesentlich. Ich muss sehen und fühlen, wie eine Stadt – oder hier eine Insel – ist und wie sich das Projekt in seine Umgebung einfügt. Ich mag keine Häuser, die wie Fremdkörper wirken. Es geht darum, etwas zu erschaffen, das sich ganz natürlich in seiner Umgebung anfühlt. Dafür muss ich die vorherrschenden Farbmuster und typischen Materialitäten verstehen und sehen. Ich mache darum immer viele Fotos, um eine Art „Erinnerungs-Landkarte“ der Materialien und Texturen für mich zu haben.
„Es geht darum, etwas zu erschaffen,
das sich ganz natürlich in seiner Umgebung anfühlt.“
Und? Wie sind Ihre ersten Eindrücke von Sylt?
Ich war zunächst wie hypnotisiert! Das fing schon auf der Fähre nach List an, als ich das erste Haus mit Reetdach gesehen habe. Und dann die Fahrt im Sonnenuntergang durch die Dünenlandschaft! Ich finde die Insel wahnsinnig schön, sie wirkt sehr ruhig und grün, und hat zugleich diese gewisse Wildnis, mit dem Meer und seinen langen Stränden. Sylt wirkt sehr freundlich und entspannend – ich bin sehr positiv überrascht.
Spüren Sie die Nähe zu Dänemark?
Es erinnert mich optisch etwas an Møgeltønder, einen kleinen Ort ganz in der Nähe. Dort sind Reetdach und roter Backstein auch sehr präsent. Gleichzeitig ist mir aber auch ganz klar, dass ich hier in Deutschland bin. Was auch daran liegt, dass Süddänemark nicht der wohlhabendste Teil meines Landes ist, und die finanziellen Möglichkeiten, um etwas Schönes zu erschaffen, scheinen hier auf Sylt dann doch etwas anders zu sein.
Haben Ihre Bekannten großen Respekt, wenn Sie zu ihnen nach Hause kommen?
Da ist es bei mir ähnlich wie bei meinem Vater: Der wurde als Arzt dann zu allen aktuellen Wehwehchen befragt. Bei mir geht es halt um Einrichtungsratschläge, und man bittet mich, mal einen Blick auf die Gardinen zu werfen (lacht). Aber das ist kein Problem, ich liebe es, das Zuhause von Leuten kennenzulernen.
Es gibt also nichts, was Sie zumindest innerlich aufschrecken lässt?
Ich bin kein großer Freund von großen Mustern, auch Tapeten mag ich nicht sonderlich. Das ist die sehr kurze Antwort. Die längere ist: Durch meine Arbeit spüre ich unmittelbar, ob sich ein Ort gut anfühlt. Das lässt sich schwer in Worte fassen, weil man es einfach intuitiv wahrnimmt. Das muss nicht wegen einer Tapete oder einem unschönen Stuhl sein, vielmehr weiß man doch innerhalb von 30 Sekunden, ob man bleiben will – oder eben nicht. Woran das genau liegt, kann ganz unterschiedliche Gründe haben.
Haben Sie einen grundsätzlichen Rat?
Ich selbst stelle mich immer mit geschlossenen Augen in einen Raum und frage mich: Wie fühlt es sich an? Und dann versuche ich mit neuen Augen auf alles zu blicken: Fühle ich mich wohl? Oder ist es vielleicht zu voll gestellt? Stört es mich, dass alles im Raum auf den Fernseher ausgerichtet ist? Fehlt vielleicht ein Fenster? Mir ist bewusst, dass nicht jeder Wände versetzen oder neue Fenster schaffen kann, aber dann ist man sich der Schwächen zumindest bewusst und kann mit ihnen arbeiten. Ich selbst praktiziere zum Beispiel kein Feng-Shui, liebe aber die Ideen dahinter und habe sie unterbewusst auch in Projekten angewandt. Denn viele Grundgedanken dahinter sind eigentlich selbstverständlich: Natürlich ist es nicht schön, wenn das Bett auf das Badezimmer ausgerichtet ist, weil man einfach keine Tür vor seinem Bett haben will. Direkt neben dem Bett übrigens auch nicht, schließlich will man sich sicher fühlen. Wichtig ist einfach, dass man sich der Umstände und Gegebenheiten bewusst ist, dann findet sich immer eine Lösung.