„Wenn man es erklären muss, ist es nicht Flexform“. Seit mehr als 40 Jahren entwirft der Super-Designer Antonio Citterio Möbel für Flexform. Eine Gruppe von Freunden, die Visionen und Erfahrungen geteilt haben.
Beziehungsarbeit
Das Architektur- und Interior-Büro, das Antonio Citterio mit seiner Geschäftspartnerin Patricia Viel führt, liegt in einer engen Straße in der Mailänder Innnenstadt. Das Gebäude ist ein Eigenentwurf und ein Wunder an Raumnutzung: Sieben Etagen, davon drei unterirdisch, holen alles aus dem handtuchschmalen Grundstück heraus, großflächige Fenster sorgen für maximalen Lichteinfall. 130 Mitarbeiter hat die Architekturabteilung, die international Projekte realisiert. Die Designabteilung hat: einen. Citterio selbst. Sein „Hobby“ nennt er da Gestalten von Möbeln und Produkten, doch es hat ihm Weltruhm gebracht. Im Juni ist er siebzig geworden, seit 50 Jahren arbeitet er als Designer, seit zwanzig Jahren besteht das Büro Citterio Viel. Und seit mehr als vierzig Jahren prägt er die Marke Flexform, darüber wollen wir sprechen. Sein Arbeitszimmer liegt ganz oben, ein heller, großzügiger Raum, der Designer, so alterslos wie seine Entwürfe, ist aufgeräumt und benennt erstmal die Möbel, die vor der großen Fensterwand gruppiert sind: Sein berühmtes Sofa „Diesis“ von 1979, das B&B Italia immer noch produziert, ein organisch geformter Massivholzsessel, entworfen von seiner Frau, der amerikanischen Designerin Terry Dean, ein Stuhl von Eames, ein Original-Tischchen von Carlo Scarpa (nicht nur Scarpas Entwurf, auch aus seinem Besitz!), ein alter Holz-Klappstuhl für Angler von einer Sportyacht …. Wir sind gerade erst angekommen und schon mitten im Thema.
Herr Citterio, Ihre Laufbahn als Designer begann vor 50 Jahren. Wie hat sich das Wohnen seither verändert?
Die Leute sind raffinierter und gewandter geworden. Nehmen Sie den Wohnraum: Noch in den Achtzigern war alles aus einem Guss und das Sofa der König des Zimmers. Heute ist das Sofa im Grunde bloß ein gut proportioniertes großes Kissen, und man versucht, seinem Zuhause mit ein paar anderen interessanten Stücken nach und nach eine DNA zu geben. Es muss nicht mehr alles auf einmal fertig sein.
Sie meinen eine Art Wohncollage. Wie hier in Ihrem Büro.
Ja. Das ist der Ansatz im zeitgenössischen Design. Man kann sich selbst eine Collage zusammen stellen. Als Designer schlage ich aber auch welche vor, indem ich versuche, eine Möbelkollektion als Ganzes zu sehen. Bei Flexform mache ich das schon lange.
Wie?
In diesem Jahr etwa habe ich u.a. „Tessa“ entworfen, einen Sessel mit einem Gestell aus gedrehtem Massivholz, dessen Sitzfläche und die Rückenlehne aus einem handgefertigtem Seegrasgeflecht besteht. Für dieses bescheidene Material und die bescheidene Machart gibt es in Italien eine lange handwerkliche Tradition, meine Eltern hatten auch Stühle daraus – und „Tessa“ stellt so eine Balance her zu den klaren, eleganten und perfekt verarbeiteten Polstermöbeln, die typisch für Flexform sind und die wir zusammen entwickeln.
Mit dem Unternehmen arbeiten Sie schon seit den 1970ern zusammen, so lange wie mit keinem anderen. Sie entwerfen nicht nur regelmäßig selbst Möbel, sondern koordinieren und prägen die gesamte Kollektion. Wie kam der Kontakt zustande?
Flexform ist eine Firma aus Meda, ich bin aus Meda, und ein Sohn der Besitzerfamilie Galimberti, war ein Freund von mir. Ich war noch sehr jung, vielleicht 22, hatte schon mein eigenes Designbüro, aber noch nicht mein Architekturstudium am Polytecnico in Mailand beendet.
Sie sind im Zentrum der italienischen Designmöbel-Industrie aufgewachsen. Hätten Sie überhaupt etwas anderes werden können als Designer?
Es war für mich ganz natürlich. Mein Vater besaß eine Möbelwerkstatt, in der ich schon als Fünfjähriger eine kleine Werkbank stehen hatte, ich habe immer gern gezeichnet, war auf einer Kunstschule und habe mit 18 den ersten Design-Wettbewerb gewonnen.
Mitte der 1970er ging es im Design vor allem um expressive Formen und Farben. Wie kam es, dass Sie eine Formensprache entwickelten, die das gerade nicht war?
Weil es mir nicht um Ausdruck, sondern um die Logik, Funktionalität und Normalität geht. Das mündet fast zwangsläufig in Reduktion. Schon mein erster wichtiger Entwurf für Flexform war das komplette Gegenteil von expressiv. In den 1980ern gab es unzählige, häßliche, über-designte Sofas, es war völlig normal, sie wie Skulpturen zu entwerfen. Und auch, dass man total unbequem darauf saß. Total! Ich habe dann „I Divani di Famiglia“ entwickelt, eine Kollektion von Familiensofas, angelehnt an traditionelle, bequeme Polstermöbel, die mit weichen weißen Hussen versehen waren. So, wie meine Mutter das bei einem unserer Sesseln als Schutz vor Abnutzung gemacht hatte. Die Beine versah ich mit Industrierollen. Das war meine Idee: Die Tradition zu nutzen, aber kleine Details zu verändern. 1981 war das eine wirkliche Innovation, die mir mein erstes Interview in der New York Times und Flexform internationale Aufmerksamkeit einbrachte.
Zwanzig Jahre später entwarfen Sie „Groundpiece“ – noch heute der Bestseller der Kollektion und ein Meilenstein im Sofadesign – informell und elegant zugleich.
Groundpiece ist ganz wenig Design – eigentlich nur eine niedrige modulare Landschaft aus Kissen und Bücheregalen als Armlehnen, die ein wenig an Objekte von Donald Judd erinnern. Es trägt dem Umstand Rechnung, dass wir heute auf dem Sofa schlafen, lesen, fernsehen – es also wirklich benutzen – und dass es dafür grundlegende andere Proportionen braucht als früher, als man, wenn überhaupt, mit geradem Rücken darauf saß, um Gäste zum Tee zu empfangen. Lustigerweise wurde der Entwurf zunächst nicht verstanden. Erst als wir es in der Mitte des Raumes präsentierten, umgeben nur von ein paar kleinen Stühlen, begriffen die Leute das neue Konzept.
Sie sind, wie eigentlich alle italienischen Gestalter Ihrer Generation, studierter Architekt. Denken Sie auch ihre Möbelentwürfe vom Raum her?
Ja, es ist essentiell sich etwa bei einem Sofa zu fragen: „Was passiert mit diesen Dimensionen im Raum?“ Das ist die Basis jedes Entwurfs und schützt auch davor, sich in Details zu verlieren. Auch die Art der Präsentation, wie ich sie gerade für „Groundpiece“ beschrieben habe, fußt darauf. Ich verfolge dieses Konzept seit vielen Jahren für die Flexform-Messestände und -Showrooms – wenige Möbel, ein großes, ein paar kleine, und so platziert, dass man sich die Menschen, die sie benutzen, gleich dazu vorstellt: dass jemand auf dem Stuhl sitzt, ein anderer sich auf dem Sofa ausstreckt. Es ist ein Film ohne Leute, aber es gibt eine Geschichte dahinter. Und ohne den Raum würde man diesen Film gar nicht verstehen…
….Man sähe nur Einzelstücke vor sich…
…. genau. Schon der Ansatz des Entwerfens selbst ist ganzheitlich.
Haben Sie als Designer Vorbilder?
Eher einen Background: Einerseits sind da Charles und Ray Eames und andere Vertreter der amerikanischen Canbroock School, wie Florence Knoll oder Harry Bertoia, deren Art zu Entwerfen mir nahe ist: Jedes Element eines Möbels für sich zu lösen und dann zu einem Ganzen zusammenzufügen. Diese Designer stehen überhaupt für die Offenheit zwischen Gestaltern und Industrie, die es in den 1970ern in Italien so nicht gab. Zum anderen ist es der italienische Rationalismus mit Architekten wie Mario Asnago und Claudio Vender sowie Giuseppe Terragni, mit ihren sehr reduzierten, fast abstrakten Bauten. Zwischen diesen beiden Einflüssen bin ich aufgewachsen. Dass Flexform einige Möbelentwürfe von Asnago Vender produziert, freut mich natürlich sehr.
Es sind Möbel, die Asnago und Vender 1939 für die Bar Moka in Mailand entwarfen, neben ultraleichten Metallstühlen gibt es eine Vitrine mit Holzrahmen, vorn und hinten verglast und mit einem Metallkreuz als Gestell, fast wie eine Kleinarchitektur. Die Vitrine „Quadrante“ wiederum, die Sie selbst als junger Designer entwarfen, spricht eine ähnliche Sprache – ist sie eine Hommage?
Nicht an den Entwurf von Asnago Vender, aber an den Rationalismus: „Quadrante“ hieß auch die Zeitschrift des italienischen Rationalismus in den 1930ern. Namen nutze ich oft, um eine Verbindung zur Geschichte herzustellen. Es gibt auch Entwürfe für B&B, die ich „Charles“ – Eames–, „Florence“ – Knoll – oder „Harry“ – Bertoia – genannt habe.
Sie haben in Ihrer Laufbahn mit vergleichsweise wenigen Firmen zusammen gearbeitet, mit diesen dafür aber um so länger. Wie ist Ihr Zugang zu den einzelnen Partnern? Haben Sie eine Art innere Leitfaden für jeden?
Sagen wir so: Es gibt immer Vater und Mutter in einem Projekt, und mit unterschiedlichen Partnern hat man unterschiedlichen Nachwuchs, sei es nun Flexform, B&B, Vitra, Kartell, Amor oder Flos. Aber es sind alles lange, lange Beziehungen, das ist wichtig, weil Design Teamarbeit ist. Und, klar, muss man die Leute und die DNA eines Unternehmens gut kennen um zu wissen, welches Resultat man bekommen kann.
Zum Beispiel?
Nehmen Sie Vitra und Flexform. Bei Vitra geht es um Technologie. Ich habe es mit Ingenieuren und vollautomatisierter Fertigung zu tun und muss ganz genaue Berechnungen und Zeichnungen machen, bevor ein Prototyp hergestellt werden kann. Bei Flexform, wo der Ansatz handwerklich ist, habe ich in 48 Jahren nicht eine Konstruktionszeichnung gemacht, nur kleine Skizzen – und manchmal erzähle ich meine Idee auch bloß. Ich habe es da mit extrem erfahrenen Handwerkern zu tun, und weiß selbst sehr genau, wie man ein Sofa baut. Wie viele Diskussionen, wie viele Gespräche habe ich mit Pietro Galimberti und Designchef Saul Galimberti geführt, erst gestern haben wir zusammen zu Mittag gegessen, über ganz andere Dinge geredet, und ich hatte sofort ein paar neue Ideen!
Wie würden Sie Ihre Beziehung zu Flexform beschreiben?
Wir sind eine Gruppe von Freunden, die Visionen und Erfahrungen geteilt haben. Und sie stellt schon rein zeitliche betrachtet einen großen Teil meines Lebens dar.
Welchen Einfluss hat der Umstand, dass Flexform in dritter Generation familiengeführt ist?
Einen entscheidenden natürlich. Das gilt ja für die italienische Möbelindustrie allgemein: Eigentümer mit Mut und Visionen, die nicht nur die Bilanzen im Sinn hatten, schufen Freiräume und haben so die Entwicklung des Designs hierzulande möglich gemacht.
Was ist die gestalterische Grundidee?
„Wenn man es erklären muss, ist es nicht Flexform“. Die Möbel wirken, als wären sie schon immer da gewesen, mit einfachen Materialien von sehr hoher Qualität: Sattelleder, Holz, Textilien. Tatsächlich aber verkörpern sie das ganze handwerkliche Wissen und Knowhow aus fast 50 Jahren Zusammenarbeit. „Asolo“, ein neues Sofa aus diesem Jahr, habe ich kürzlich mit einem Teller Spaghetti mit Tomatensauce verglichen:
Ein scheinbar einfaches Gericht, aber man braucht die richtigen Zutaten, das richtige Öl und muss wissen, dass die Pasta genau 110 Sekunden kochen muss. Dann schmeckt es perfekt.