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Über 50 Jahre lang wirkte Anita Briey an der Umsetzung von Karl Lagerfelds Ideen mit. Logisch, dass das Metropolitan Museum für die große Ausstellung über den Designer ihre Hilfe brauchte.

Anita Briey mag 83 Jahre alt sein, aber über einen Look kann sie noch immer gnadenlos urteilen. Selbst dann, wenn sie ihn gar nicht sieht. „Sie arbeiten doch gerade im Pyjama, ich sehe es genau!“, sagt sie scherzhaft während eines Video-Interviews zur Presseagentin, die dem Gespräch auf einer Kachel auf dem Bildschirm beiwohnt. Die Angesprochene errötet leicht und Briey kichert vergnügt über die kleine Spitze, die sie sich erlaubt hat. Man kann sie ihr nicht übelnehmen. Karl Lagerfeld lehnte Jogginghosen bekanntlich ab und Anita Briey, die fast 50 Jahre lang an seiner Seite gearbeitet hat, sieht nachgiebige Home-Office-Uniformen ähnlich kritisch. „Als ich viel jünger war, hat man sich immer gefreut, sein tolles neues Kleid am Arbeitsplatz ausführen zu dürfen“, sagt sie. Umso mehr, als bei ihren Arbeitsplätzen stets genau hingeschaut wurde: Die Französin begann in den 50er-Jahren als Teenager als Schneiderin bei Coco Chanel. Damals steckte Mademoiselle den schottischen Tweed noch persönlich am Mannequin ab, Wallis Simpson und die Baronin Rothschild erschienen zur Anprobe und das Wort „Ready-to-wear“ musste noch erfunden werden. Ihre nächste Stelle führte sie zu Chloé, wo sie Karl Lagerfeld kennenlernte. Er war damals 31, sie 26 Jahre alt. Freundschaft und Zusammenarbeit währten bis zu seinem Tod im Jahr 2019.

Seine eigene Maison: Entwürfe für Karl Lagerfelds eigenes Label
Dank ihres berühmten Besitzers wurde auch sie zu einem Star: Die Birma-Katze Choupette war eine von Karl Lagerfelds wichtigsten Begleitern. Klar, dass auch sie zur diesjährigen Met-Gala zu seinen Ehren eingeladen wurde

Madame Briey trägt einen Pullover mit weiß-grauem Rautenmuster, die Nägel sind leuchtend rot lackiert, an den Fingern glitzern viele Diamant-Ringe. Sie sieht so makellos aus wie jene alten Damen, die man im Pariser Café „Angelina“ an einem Nachmittag unter der Woche antrifft, die kurzen, dauergewellten Haare silbern wie der Teelöffel in ihrer Hand. Nach ihren Stationen bei Chanel und Chloé arbeitete Briey bis zu ihrem Ruhestand für Karl Lagerfelds eigene Marke. Dafür hatte sie in den vergangenen Monaten erneut ziemlich viel zu tun: Anlässlich der Ausstellung „Karl Lagerfeld: A Line of Beauty“, die Anfang Mai im Metropolitan Museum in New York eröffnet wurde, hat die Schneiderin wieder Hand an einige der wichtigsten und schönsten Lagerfeld-Entwürfe für sein eigenes Haus angelegt. Sie hat Vintage-Originale ausgebessert und restauriert, alte Entwürfe nach Foto-Vorlagen nachgeschneidert, und sie hat für die Marke Karl Lagerfeld die Celebrity-Fittings für die Met-Gala betreut, dem wohl meistfotografierten und -besprochenen Mode-Event des Jahres. Carla Bruni trug beispielsweise eine bodenlange schwarze Robe mit asymmetrischen Trägern und einer weißen Chiffonschärpe.

 

Es ist die erste große Ausstellung, die das gesamte Lebenswerk des Designers umfasst. Er selbst hätte sie sich vermutlich nicht so gern angesehen – mit Nostalgie und Vergangenheit hielt sich Lagerfeld bekanntlich ungern auf. „Aber er hat es verdient. Er hat sein Leben lang so hart gearbeitet, er hat nie damit aufgehört. Und er hatte die Gabe, andere Menschen zu motivieren, ebenfalls weiterzumachen“, sagt Briey. „Gut, er hatte den Makel, dass er immer zu spät war. Aber egal, wie genervt und müde wir waren, wenn er abends um 21 Uhr ins Atelier kam: Sobald er da war, steckte er alle mit seiner Energie an und es ging weiter.“ Sie hat in ihrem Leben viele Stunden mit Nadel und Faden verbracht, der Atelier-Alltag war ihr Leben. Hatte Lagerfeld einmal sein Team gefunden und zusammengestellt, blieb er diesem treu, fühlte sich verantwortlich. Das galt für die Schneiderinnen wie auch für Caroline Lebar, Lagerfelds langjährige Vertraute und Assistentin, die weiterhin die Lagerfeld-„Familie“ zusammenhält. „Die Menschen dachten immer, er sei so kalt und distanziert. Wenn man ihn persönlich kannte, war er jedoch unkompliziert, witzig und charmant“, sagt Madame Briey. „Er wusste, wie er uns trotz der harten Arbeit bei Laune halten konnte, hatte immer ein nettes Wort oder ein kleines Präsent übrig.“ Ohne eine persönliche Leidenschaft für die Mode hätte jedoch auch sie den Belastungen des Jobs kaum standgehalten.

 

Geboren in der Bourgogne, entdeckte sie schon als kleines Mädchen den Spaß an Stoffen und Kleidern, die sie für ihre Puppen schneiderte. „Meine Mutter kaufte mir damals Modehefte wie ‚Le Jardin des Modes‘ und darin sah ich erstmals die Kleider des Couturiers Jacques Fath.“ Der Traum, für Fath zu arbeiten, begleitete sie bis ins Teenageralter, als ihre Eltern beschlossen, nach Paris zu ziehen, um ihrer Tochter einen Start in der Mode zu ermöglichen. Doch dann starb der Couturier und die 16-Jährige, die gerade einen zweijährigen Schneiderei-Kurs beendet hatte, musste sich umorientieren. Ein Spaziergang durch Paris führte sie zufällig in die Rue Cambon, an der Nummer 31 hing ein Schild mit der Aufschrift „Chanel“ an der Tür. „Ich ging hinein, stellte mich vor und wurde sofort eingestellt.“ Briey perfektionierte ihre Nähtechnik und wohnte fast täglich Modenschauen für die Kundinnen bei, gut versteckt hinter den Coromandel-Paravents, die Coco Chanel so liebte und sammelte. Als Mademoiselle den verehrten Atelier-Chef Monsieur André entlässt, will auch die junge Schneiderin etwas Neues suchen. Ein Bekannter vermittelt sie 1966 an das Haus Chloé, wo ein neuer Chefdesigner aus Deutschland die kreative Leitung übernommen hat: Karl Lagerfeld. Der Hamburger machte schon damals vieles anders, als Briey es gewohnt war. „Coco Chanel hat nie gezeichnet, aber Lagerfeld fertigte immer diese wunderschönen Zeichnungen an, auf deren Basis wir die Entwürfe realisieren sollten.“, sagt sie.

 „Er wusste immer genau,
was er wollte, und irrte sich fast nie“

 

Zudem erhielt sich Lagerfeld schon damals eine Freiheit und Unabhängigkeit, die für Couturiers jener Jahre ungewöhnlich war. Er arbeitete gleichzeitig auch für Fendi, verkörperte bereits den Typus des modernen Designers mit mehreren Arbeitgebern, der sich mühelos von einer Markenidentität in die andere denken kann und immer Anknüpfungspunkte an die Zukunft findet. Als der Ruf aus dem Haus Chanel ihn ereilte, ahnte er wohl schon, auf was für eine schicksalsträchtige Reise er sich begab. „Uns hatte man noch nichts gesagt, aber als Lagerfeld für seine letzte Chloé-Show im Jahr 1983 um ein kleines Flugzeug für die Laufsteg-Dekoration bat, das hat uns stutzig gemacht“, sagt Briey. Zu Chanel konnte sie ihn nicht begleiten, doch Lagerfeld trug ihr die Leitung seines eigenen Ateliers auf. Es folgten bewegte Jahre in einem Atelier auf den Champs Élysées, mal mit, mal ohne Modenschauen, die Investoren wechselten, doch Anita Briey blieb bis zu ihrem Ruhestand mit 69 Jahren. Und selbst danach sprang sie immer wieder ein, wenn Lagerfeld Unterstützung brauchte. Fast ein halbes Jahr hat sie nun mit der Vorbereitung der Roben für die Ausstellung und die Gala verbracht. „Ich wusste nicht, ob ich das noch schaffen würde. Meine Finger sind nicht mehr so flink wie früher und abends werde ich richtig müde.“ Einen Karl Lagerfeld, der durch die Tür rauscht, gute Laune verbreitet und fertige Kleider sehen will, gab es nicht mehr. Angespornt hat er sie trotzdem.

Die Mühe hat sich gelohnt: Brieys Arbeit ist nun in der Ausstellung „Karl Lagerfeld: A Line of Beauty“ im „Metropolitan Museum of Art“ in New York zu sehen. Sie selbst übrigens auch: In verschiedenen Videos, in denen Lagerfelds „Premières d´Atelier“ zu seinem Arbeitsprozess befragt wurden, tritt auch Briey auf. Die Ausstellung läuft bis zum 13. Juli. Erste Eindrücke gibt es hier:

 

Text
Silvia Ihring
Fotos
Karl Lagerfeld