Eine Kolumne von Inga Griese

Zu alt? So what!

80 Jahre Vivienne Westwood. Vorbild für wahre Emanzipation, Freiheit und Individualität.

„Wir ertragen den alternden Körper der Frau nicht“, sagte die Schauspielerin Barbara Sukowa (71) am vergangenen Wochenende in WELT AM SONNTAG. Es ging um ihren neuen, Oskar-nominierten Film „Wir beide“, der von zwei lesbischen, über 70-jährigen Nachbarinnen erzählt. Ich musste gleich an Vivienne Westwood denken. Nicht wegen der lesbischen Nachbarinnen, sondern wegen der Sache mit dem Körper. Denn wie bei so vielen Themen, die mit Freiheit und Aufklärung und Individualität zu tun haben, hat die britische Designerin quasi auch den Teppich ausgerollt für einen selbstbewussten Umgang mit dem Körper.

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Inga Griese liest Ihnen gerne Ihre Kolumne vor:

Griese x Westwood

Zu alt? So what! 80 Jahre ist sie am Donnerstag geworden, und man kann davon ausgehen, dass beige Übergangsjacken auch in Zukunft keine Rolle in ihrem aufregenden Leben spielen werden. She cares, but not the way people would expect. Manchmal trifft man sie in Rollkragenpullover, Schottenhose und Strickweste, zum Beispiel nach einer Show in London, wahrscheinlich weil es praktisch ist. Aber viel öfter hat man sie in Kleidern und Aufzügen gesehen, die in vielerlei Hinsicht gewagt waren. Befreiung und Provokation über selbst bestimmte und selbst definierte Sexyness.

Selbst diejenigen, die sich nicht mit Mode beschäftigen und vielleicht nicht wissen, welchen Einfluss sie gestalterisch und als Professorin genommen hat, haben wahrscheinlich davon gehört, dass sie diejenige ist, die ohne Unterwäsche kam, als sie 1992 von der Queen ausgezeichnet wurde. Es bedurfte gar keiner Gerüchtekocherei, sie posierte Monroe-like mit wehendem Rock, der wegen seiner Länge extra schwungvoll wehte und keine Fragen offen ließ. Was in ihrem Fall aber kein Skandal war, sie wurde ja nicht geehrt als zuverlässigste königliche Schwiegertochter, sondern weil sie Vivienne Westwood ist. Vivienne Isabel Swire aus Glossop in Derbyshire, ausgebildete Grundschullehrerin, rebellisch seit eh und je, exzentrisch in bester britischer Manier, von zerstörerischer Kraft, wenn es um sinnlose Konventionen geht, von großer gestalterischer Kraft, wenn es Dresscodes gesellschaftlicher Veränderungen betrifft. „Too fast to live, too young to die“ ist die Songzeile zum (manchmal Zwölfton-)Kanon ihres Lebens. Eine Modeschöpferin im Wortsinn. In den 50ern fing es mit Secondhandzeug an. Die Arbeitskleidung für die Jungs von den Sex Pistols machte die Mutter des Punk berühmt. „Let it rock“, der Laden, den sie vor 50 Jahren mit Malcolm McLaren in der Londoner King’s Road eröffnete, war der Ausgangspunkt.

Westwood macht sich zu ihrem 80. Geburtstag gegen den Waffenhandel stark. Foto Ki Price

  „‘What a fool I was, what a dominated fool
/ To think that you were the Earth and the sky…’“

Ob sie gelacht hat, damals, als Liz Hurley 1994 im Sicherheitsnadelkleid von Versace zu Weltruhm kam? Hatte sie da nicht längst solch Nähzubehör in ihren Bondage-Entwürfen stecken gelassen? Sie hat T-Shirts im very-used-Look mit Propagandasprüchen verkauft. Zog Frauen Ankle-Boots zur Mini-Krinoline an, spielte immer wieder gern mit vermeintlichen Codes von Weiblichkeit wie dem Korsett oder Cul-de-Paris-Reifröcken, stellte Frauen (und Männer) auf irre hohe Plateausohlen (die nicht nur Naomi Campbell auf dem Laufsteg zum Balanceverhängnis wurden). Sie fertigte aber auch wundervolle Roben und perfekt geschneiderte Kostüme an, hat die Rechte an einem eigenen Schottenkaro und ein solides Markenimperium aufgebaut. 2006 wurde sie von der Queen als „Dame Commander“ geadelt. Im kleinen Schwarzen.

Natürlich war ihr Weg schwer. Keiner hatte damals auf die „verrückte“ Engländerin gewartet, und als die sich von McLaren trennte, hielt mancher ihre Karriere als Agentin provocateur für beendet. Doch ihre Provokation funktionierte. Auch weil sie so fundiert war, von Anliegen, Bildung und Botschaften untermauert.

Ihre 80 Jahre sind andere als die von, sagen wir, Sophia Loren, die für öffentliche Auftritte immer wieder als ewiges Sexsymbol gestylt wird. Vivienne Westwood besetzt ein anderes Ikonenfeld. Gerade in dieser Zeit, in der Gender-Themen so eigenartig unversöhnlich und auf Nebenschauplätzen wie Sprache ausgetragen werden, ist sie ein Vorbild für wahre Emanzipation. Die großen Themen hat sie längst verhandelt. Vor zwei Jahren etwa, beim Fashion-Show-Spektakel in Westminster Abbey, lag backstage eine dunkelblaue Tasche mit dem Aufdruck: „Unisex. Time to act.“ Dazu das Zeichen für Weiblichkeit als ein königlicher Apfel, umrundet von einem Saturnkreis.

 

Der Text ist ursprünglich in WELT AM SAMSTAG erschienen.

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Inga Griese