TRAUMLANDSCHAFTEN

Magie und Makel

Studio „Six N. Five“ aus Barcelona zeigt mit betörend schönen digitalen Interiors, wie das Wohnen der Zukunft aussehen könnte. Wir sprachen mit Gründer Ezequiel Pini über Perfektion, Inspiration – und Staub.

Ezequiel Pini hat eigentlich Urlaub. Es ist August, ganz Spanien macht für diesen Monat dicht. Er aber sitzt in seinem Studio im einstigen Industrieviertel Poblenou: Samsung, Microsoft, Uniqlo, Cassina – die Liste der Kunden ist lang. Und seit der Pandemie sind die Arbeiten seines Studios noch gefragter als zuvor.

Agentur-Gründer Ezequiel Pini.

Ihre Landschaften und Wohnwelten haben meist etwas Softes, geradezu Poetisches. Woher nehmen Sie Ihre Inspiration?

Eigentlich von überallher, ich schaue mich nach allen Seiten um. Der Vorteil von 3-D-Design ist ja, dass du Dinge aus verschiedenen Welten nehmen, miteinander verschmelzen lassen kannst und das Ergebnis sieht trotzdem aus, als wäre es real. Das gibt dir grenzenlose Flexibilität. Tatsächlich hat mich das Licht in bestimmten Gemälden, etwa von Edward Hopper, immer fasziniert. Also analysieren wir diese Art und setzen sie dann in einem zeitgenössischen Projekt ein. Im Grunde versuchen wir hier, Bilder und Videos zu erzeugen, die etwas beim Betrachter auslösen: Weil sie dir vertraut vorkommen, aber doch irgendwie neu und anders sind. Vielleicht gefallen sie dir, oder sie lösen vielleicht sogar Unbehagen aus.

Wird Design durch die 3-D-Technologie nur perfekter? Oder auch spielerischer?

Es eröffnet die Freiheit, sich alles vorzustellen und zu erträumen. Wir haben gerade eine Serie mit Wohnwelten auf Planeten ge- macht, die sich nicht so verhalten wie man es erwartet. „What if?“, heißt sie. Da ist ein Schlafzimmer, das aus einem Mond herausragt, ein Haus auf einem Krater. Es scheint alles in Ordnung zu sein, aber ist es das wirklich? Du fängst an, Geschichten in die Bilder hineinzuprojizieren.

„Japanese Garden“ (2020)
Bei „Holo Scandinavian“ (2019) wurden die Möbel danach auch in echt produziert.

Was bekommt die meiste Aufmerksamkeit im Netz?

Arbeiten, die ein bisschen surreal erscheinen, bei diesem endlosen Scrollen durch Instagram hängenbleiben und einen Moment der Irritation auslösen. Oder weil du mit dem Bild an einen Ort reist, der offensichtlich nicht existiert – an dem du aber gern wärst.

Obwohl Ihre Bilder nicht real sind, versuchen Sie, sie möglichst echt aussehen zu lassen – indem Sie sogar Staub auf Möbel programmieren.

Wir versuchen ja Realismus zu kreieren: Also muss das Licht so natürlich wie möglich aussehen, hier und da ein Schönheitsfehler auftauchen, den es in der Realität nun mal gibt, wie Staub. Sonst ist 3-D zu künstlich. Ein befreundeter Regisseur und Fotograf hat mir mal gesagt, er verbringe Stunden damit, Unregelmäßigkeiten wegzuretuschieren. Dagegen brauchen wir eine Ewigkeit, genau diese „Mängel“ einzubauen.

Vor Kurzem haben Sie die Reihe „Six N. Five Objects“ begonnen: Echte Möbel wie den „Oil Chair“, der eine irisierende Oberfläche wie ein Hologramm hat. Versuchen Sie damit, Ihre Fantasie Wirklichkeit werden zu lassen?

Ja, und das ist für uns der schwierigste Part des Ganzen. Wir sind es gewohnt, am Computer schnell Resultate zu erzeugen. Jetzt dauert alles viel länger, wir stoßen ständig an Grenzen, weil wir immer ver- suchen, Dinge zu erzeugen, die jenseits des Gewöhnlichen sind. Aber sehen Sie, da hinten in der Ecke (Pini schwenkt die Laptopkamera) stehen tatsächlich ein paar Protoypen! Ich bin eigentlich Grafikdesigner, der in 3-D arbeitet, sich aber immer auch für Architektur, Produktdesign und Film interessiert hat. Wir tauchen überall ein und schauen mal, was passiert. Diese irgendwie unschuldige Herangehensweise bewahren wir uns hoffentlich.

Online-Blogs bringen irgendwann doch mal ein Print-Magazin heraus. Warum reizt die digitale Welt am Ende doch immer noch das Reale? Weil man es anfassen kann?

Wahrscheinlich. Wenn die ersten Prototypen ins Studio kommen, sind wir immer ganz aufgeregt, dass man sie wirklich berühren kann. Ein sehr befriedigendes Gefühl.

Gab es in Ihrer Familie viel Kreativität? Oder woher kommt Ihre Lust am Gestalten?

Das ist ein bisschen kurios. Mein Vater ist Taekwondo-Trainer in Argentinien und hat dort eine Schule. Aber eine meiner Omas hat viel gemalt, und das habe ich als Kind auch gern gemacht. Gestaltung war meine Passion, deshalb erschien mir Grafikdesign der logische Weg nach der Schule. Danach ließ ich mich einfach treiben, zum Webdesign, zur Animation, bis ich schließlich die Welt des 3-D entdeckte.

„Organic House“ (2020) mit Möbeln des Designbüros „Agnes Studio“ aus Guatemala

Sie haben früher selbst Taekwondo gemacht, richtig?

Ich habe mit vier angefangen und wäre fast Profi geworden. Mein Vater hat mit mir und meinen beiden Brüdern trainiert. Ich bin viel gereist, sogar zu Wettkämpfen nach Süd- und Nordkorea. Aber im Studium war nicht genug Zeit, um den Sport auf dem Niveau weiterzumachen, dazu kamen ein paar Verletzungen. Aber ich habe viel aus dieser Zeit mitgenommen fürs Leben, Taekwondo hat viel mit Respekt und Disziplin zu tun.

 

Sich hinsetzen, wissen, was man zu tun hat, etwas zu Ende zu bringen – das mache ich bis heute.

Six N. Five wurde 2014 gegründet. Damals galt 3-D vielfach noch als lustige Spielerei. Wie hat sich die Wahrnehmung in den letzten sieben Jahren geändert?

Komplett. Am Anfang haben wir höchstens ein paar Aufträge aus der Werbung bekommen, eine zusammengefaltete Wasserflasche in diesen und jenen Farben darstellen und so weiter. Wir haben eher Ideen ausgeführt, die der Kunde schon im Kopf hatte. Das hat sich vollkommen geändert. Auch die Technik hat sich enorm weiterentwickelt, oft kann nicht einmal ich mehr eine digitale Fotografie von einer 3-D-Grafik unterscheiden. Für uns ist immer auch die künstlerische Seite wichtig, dafür nehmen wir uns extra Zeit, arbeiten auch mal drei Monate an eigenen Projekten. Glücklicherweise werden wir jetzt auch immer mehr dafür gebucht, für unsere „Vision.“

Ihr ehemaliger Geschäftspartner Andrés Reisinger hat kürzlich bei Sotheby’s eine virtuelle Möbelkollektion für 70.000 Euro verkauft. Marken wie Gucci oder Louis Vuitton verkaufen virtuelle „Skins“ oder Accessoires in Videospielen. Ist das auch im Interior- und Möbeldesign die Zukunft?

Es ist zumindest eine Tendenz, die bleiben wird. Und sicherlich wird es mehr und mehr Leute geben, die „digitale“ Kollektionen sammeln. Das Interesse am Digitalen hat sich durch die Pandemie noch einmal multipliziert. Auch wir werden seit letztem Jahr als „digitale Künstler“ gehandelt – das war früher undenkbar, weil unsere Arbeit ja nichts war, was du an die Wand einer Galerie hängen konntest. Ich glaube, es passiert tatsächlich ein Paradigmenwechsel.

Text
SILKE WICHERT
Bilder
Six N. Five